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Projekt des Monats März: Im DRK-Quartierstreff in Zweibrücken ist ein offenes Wohnzimmer für alle entstanden

Seit 2013 betreibt das Deutsche Rote Kreutz (DRK) im Zweibrücker Quartier „Breitwiesen“ einen Quartierstreff. Mit viel Engagement und Beharrlichkeit wurde in einer herausfordernden Nachbarschaft ein gemeinsamer Treff gegen Einsamkeit geschaffen.

Im Quartier „Breitwiesen“ leben ca. 4000 Menschen, davon über 80 Prozent in Singlewohnungen. Bei einem Durchschnittsalter von 71 Jahren ist das Motto „Gemeinsam statt einsam“ ein Leitgedanke der Quartiersarbeit. Diese wird von drei hauptberuflich engagierten sowie zwei freiwillig engagierten Personen getragen. Im Interview mit dem DRK-Kreisgeschäftsführer Hans Prager (54), der sich von Beginn an für den Quartierstreff engagiert, sowie mit Leona Kaufmann (48), die seit 2016 Leiterin des Quartierstreff ist, berichten diese von den schwierigen Herausforderungen am Anfang ihrer Arbeit und ermutigenden Ergebnissen, die sie hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lassen.

 Leona Kaufmann und Hans Prager                    (Fotos: privat)

Nachbarschaft und zwischenmenschliche Hilfe beleben

Woher kam der Anstoß zur Gründung des Quartierstreffs?

Prager: Der Anstoß für die Entstehung des Quartierstreffs war die Feststellung, dass die alten Menschen in dem Wohnquartier zunehmend vereinsamen. Unser Treff ist daher als eine Art „offenes Wohnzimmer“ für alle Bewohner und Bewohnerinnen des Quartiers „Breitwiesen" konzipiert. Selbstverständlich können aber auch Gäste aus der ganzen Stadt die Einrichtung nutzen. Wir wollen die Nachbarschaft und die dadurch oft resultierende zwischenmenschliche Hilfe neu beleben und ein neues Zueinander fördern. Die Infrastruktur soll nach und nach ausgebaut werden, um das Wohnen für alle im Quartier erleichtern zu können.

Wer besucht den Quartierstreff?

Kaufmann: Jeder kann uns besuchen, egal welches Alter und Geschlecht, welche Herkunft oder mit welchem sozialen und finanziellen Hintergrund. Wir bieten jedem Menschen eine Plattform für Austausch, Geselligkeit und Abwechslung im alltäglichen Leben, etwa gemeinsame Mittagessen, Bewegungs- und Kaffeenachmittage, verschiedene Veranstaltungen oder Ausflüge. Auch bieten wir soziale niedrigschwellige Hilfen an. Insgesamt also Angebote, wie sie in der Regel in Familien geleistet werden. Die meisten, die uns besuchen, sind zwischen 63 und 91 Jahre alt und überwiegend weiblich und verwitwet. Bis zur Pandemie haben sie unsere Angebote täglich wahrgenommen.

Wie könnte man die Struktur des Quartiers beschreiben?

Prager: Zunächst einmal sind das hohe Durchschnittsalter der Bewohnerinnen und Bewohner und die vielen Singlewohnungen prägend für das Quartier. Hinzu kommt, dass es durch die Stadt im Jahr 2015 zur Notunterbringung vieler Flüchtlingsfamilien im Quartier kam, von denen sich viele dort fest angesiedelt haben. Leider kollidiert diese Gruppe häufig mit den von der Obdachlosenpolizei dort untergebrachten Menschen ohne festen Wohnsitz. Das Quartier ist nach und nach von Kriminalität, Vandalismus und jugendlichen Straftätern geprägt.

Aufgrund des hohen Migrationsanteils wurde im Stadtteil bereits eine Migrationsberatung seitens des DRK angesiedelt. Es gibt insgesamt 160 Fälle von Sozialhilfe, das heißt Grundsicherung, Hilfe zum Lebensunterhalt und offene Asylfälle.

Ein Gespür für die Menschen im Quartier entwickeln

Einen Treff aufzubauen, der von den Menschen im Quartier angenommen wird, hört sich nach Ihren Beschreibungen nicht einfach an…

Kaufmann: Ja, anfangs waren der Vertrauensaufbau zu den Bewohnerinnen und Bewohnern des Quartiers, das Warten auf „Kundschaft“, bis das Angebot wirklich bei den Anwohnern „angekommen“ ist, die Implementierung sowie Etablierung unseres Vorhabens und unserer Ideale besonders schwierig. Das Deutsche Rote Kreuz hat damals gemeinsam mit der Gesellschaft für Wohnen und Bauen eine Wohnung in einem ganz normalen Mehrfamilienhaus im Quartier bezogen und versuchte niedrigschwellige Angebote, zum Beispiel Stricknachmittage, Basteln oder Ähnliches, zu etablieren. Es ist uns nicht leicht gefallen, eine passende Angebotsstruktur aufzubauen, etwa häusliche Hilfen, damit Menschen so lange wie möglich in ihrer Wohnung bleiben können. Auch die Idee nachbarschaftlicher Hilfe und der Rot-Kreuz-Ideale umzusetzen, waren eine Herausforderung. Im Laufe der Zeit haben wir aber ein gutes Gespür für die Bedarfe unserer Bewohnerinnen und Bewohner sowie die Chancen, Potenziale, aber auch Probleme im Quartier entwickelt.

Nun hatten Sie ja bereits erwähnt, dass bis zur Pandemie viele Menschen aus dem Quartier täglich Angebote des Quartierstreffs genutzt haben. Welche Auswirkungen hatte die Corona-Pandemie auf den Treff?

Kaufmann: Nun, auch wir mussten den Treff schließen, gleichzeitig aber eine adäquate Alternative bieten, etwa telefonisch oder virtuell, da die Besucherinnen und Besucher auf die Betreuung, die Hilfe im Alltag und die Gesellschaft unserer Mitarbeitenden angewiesen sind. Beispielsweise kaufen wir für viele alleinstehende ältere Menschen ohne familiäre Hilfe ein.

Auch Menschen im hohen Alter nutzen digitale Vernetzungsmöglichkeiten

… und was gehörte zu den virtuellen Alternativen, die Sie erwähnt haben?

Kaufmann: Durch das Pilotprojekt „Ixem deheem“, das das DRK zusammen mit dem Fraunhofer-Institut und der Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz zur Bekämpfung von Einsamkeit im Alter entwickelt hat, hatten wir die Möglichkeit über den Sprachassistenten „Alexa Echo Show“ den Kontakt zu unseren Besucherinnen und Besuchern – zumindest zu den Projektteilnehmenden – aufrecht zu erhalten. Über Videotelefonie wurde der tägliche Kontakt gepflegt, Sorgen und Ängste besprochen sowie untereinander vernetzt.

Unsere Hauptarbeit während des ersten Lockdowns war die Bekämpfung der Schockstarre, der wiederkehrenden Einsamkeit und der Hilflosigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner. Das Projekt, an dem ausschließlich Personen, die älter als 70 Jahre sind, teilnehmen konnten, hat uns gezeigt, dass auch Menschen hohen Alters bereit sind, digitale Vernetzungsmöglichkeiten zu nutzen, gerade wenn diese die einzige Chance auf Austausch und Geselligkeit sind.

Ein Schimmer Hoffnung zur Coronazeit – Von digitalen Angeboten über die „Wünscheleine“ bis hin zur Büchertauschbörse

Das hört sich ermutigend an. Welche Art von Geselligkeit ist denn so entstanden?

Kaufmann: Neben dem Alexa-Projekt haben wir versucht über kleinere Projekte die Menschen zuhause im Quartier möglichst zu unterhalten, damit sie aufrecht und optimistisch blieben. Dazu gehört zum Beispiel die „Wünscheleine“. Mit dieser Idee wollten wir Menschen im Gebiet animieren, ihre Gefühle während der Pandemie zu äußern. Jede Person hat natürlich Sehnsucht nach Normalität und wir dachten es wäre gut, wenn Menschen sagen können, was sie sich für die Zukunft wünschen und was am Anfang der Pandemie gut oder schlecht gelaufen ist. Jeder hat die Möglichkeit gehabt, dies schriftlich oder als Bild bei uns abzugeben. Wir haben es dann laminiert und aufgehangen an dieser Wäscheleine, die sich hinten am Standort des Quartierstreffs an der Tilsitstraße befindet.

Des Weiteren haben wir digitale Projekte über Social Media, digitale Sportangebote für Jung und Alt, digitale Lesenachmittage und Videokonferenzen, aber auch Outdoor-Bingo-Nachmittage unter strengen Hygieneregeln oder Lesenachmittage im Freien veranstaltet. Mit alle diesen Angeboten wollten wir einen Schimmer Hoffnung geben, da wo er gebraucht wurde und noch wird.

Zudem konnten wir gemeinsam mit der Sozialen Stadt sogar eine zur Büchertauschbörse umgebaute Telefonzelle im Quartier aufstellen und befüllen. Bis heute wird diese stark frequentiert und benutzt.

Junge sollen zukünftig noch mehr Angebote im Quartierstreff erhalten

Sie haben auch ein Bildungsangebot „Leseförderung“. An wen richtet sich dieses Angebot?

Kaufmann: Unser Leseclub über die Stiftung Lesen ist gedacht für Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren und hat sich unter anderem auch um die Lesenachmittage an der neuen Büchertauschbörse gekümmert. Während der strengsten Lockdownzeit haben wir online Hörbücher auf Youtube hochgeladen. Der Leseclub war auch in unserer Notbetreuung zur Ferienfreizeit aktiv.

Was gehört zu den schönsten Erlebnissen, die Sie bei der Arbeit im Quartierstreff gemacht haben?

Kaufmann: Zu unseren schönsten Erlebnissen gehören besonders unsere Sommerfeste, an denen das sonst oft gespaltene und uneinige Quartier zusammenkommt, zusammen feiert und zusammen Spaß hat, aber auch unsere Weihnachtsfeiern, wenn Besinnlichkeit einkehrt sowie Freude oder Trauer über die Einsamkeit oder Verluste, mit Erinnerungen an vergangene Zeiten und verlorene Freunde. Genauso wichtig sind zudem unsere Bewegungsnachmittage, denn sie fördern nicht nur die Motorik der Teilnehmenden, sondern halten sie auch geistig fit. Alle haben dabei Spaß und Freude sowie tolle Gespräche miteinander.

Welche Ziele haben Sie sich für die Zukunft des Quartierstreffs gesteckt, bzw. welche Angebote sollen noch angestoßen werden?

Prager. Unser derzeit wichtigstes Ziel ist der Neubau und die Belebung des Quartierstreffs als Anbau an die Breitwiesenschule. Der Neubau ermöglicht uns eine neue und ausgeweitete Angebotsstruktur. Da er an eine Schule angegliedert ist, wird es so auch mehr Angebote für Kinder und Jugendliche geben.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Prager: Wir hoffen mit unserer Arbeit im Quartier dort weitermachen zu können, wo wir vor Corona aufgehört haben.

Kaufmann: Wir freuen uns besonders auf ein Wiedersehen mit alten Bekannten, gemeinsame Feste und die Wiederumsetzung unseres Mottos „gemeinsam statt einsam“.

Vielen Dank für das Gespräch Frau Kaufmann und Herr Prager.

Weitere Informationen zum Projekt auf der Webseite der Landesinitiaitve oder der Projket-Webseite des DRK sowie zum "Projekt Ixhem deheem"