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Projekt des Monats November: „Die gelebte Idee der ehrenamtlichen Nachbarschaftshilfe ist sehr wichtig“

Seit April hat der seit fast zehn Jahren bestehende Verein Nachbarschaftshilfe Flammersfeld einen neuen Vereinsvorsitzenden, der Bewährtes fortführt und Neues anstößt, um auch in Zukunft aktiv vor Ort zu sein.

In der Ortsgemeinde Flammersfeld, die im Nordosten von Rheinland-Pfalz im Landkreis Altenkirchen liegt, leben rund 1500 Menschen. Dorthin hat es Dirk Kullmann aus Essen gezogen, der seit 2018 Vermessungsingenieur im Ruhestand ist. Bereits ein Jahr später trat der heute 66-Jährige in den mitgliederstarken Verein Nachbarschaftshilfe Flammersfeld ein und engagiert sich seitdem vor Ort. Im Interview mit dem 66-Jährigen Vereinsvorsitzenden erfahren Sie von seinen Beweggründen und Vorhaben und wie er versucht, Menschen zu mehr Engagement zu bewegen.

 Dirk Kullmann (Foto: privat)

Vom seniorengerechten Bauen zum Engagement in der Gemeinde

Herr Kullmann, Sie sind erst seit einem guten halben Jahr Vereinsvorsitzender der Nachbarschaftshilfe Flammersfeld. Viele Vereine berichten von Schwierigkeiten Vorstandsmitglieder mit verantwortlichen Tätigkeiten zu finden. Was war Ihre Motivation, sich in Flammersfeld zu engagieren?

Kullmann: Nach langer Suche haben meine Frau und ich 2016 das Grundstück in Flammersfeld gefunden, auf dem wir unser seniorengerechtes Haus bauen konnten. Denn die Gemeinde Flammersfeld hat aus unserer Sicht mit Einkaufsmöglichkeiten, Arzt, Apotheke etc. die nötige Infrastruktur, um dort altwerden zu können. Zu Weihnachten 2017 sind wir in unser neues Haus eingezogen, es waren noch einige Aufgaben zu erledigen, die wir nach und nach abgearbeitet haben. Parallel haben wir uns bemüht in unserem neuen Umfeld Fuß zu fassen, wie zum Beispiel durch die Mitgliedschaft in der Nachbarschaftshilfe, die für uns ein wichtiger Baustein ist, um möglichst lange selbstbestimmt in unseren eigenen vier Wänden leben zu können.

Durch meine Tätigkeit als sachkundiger Bürger im Bauausschuss der Gemeinde Flammersfeld, habe ich die Bürgermeisterin Hella Becker kennengelernt, die den Verein „Nachbarschaftshilfe Flammersfeld e.V.“ mit ein paar Gleichgesinnten 2013 gegründet hat. Leider ist sie viel zu früh im September 2020 gestorben und die Aufgabe des Vereinsvorsitzes war nicht mehr besetzt. Coronabedingt fand erst im Frühjahr 2022 eine Mitgliederversammlung statt, auf der ich mich für die Aufgabe des Vereinsvorsitzenden zur Verfügung gestellt habe, weil mir die gelebte Idee der ehrenamtlichen Nachbarschaftshilfe sehr wichtig ist.

Digitaler Wandel und überschaubare Aufgabenfelder

Bei unserem Fachtag Nachbarschaft Ende September in Mainz haben Sie berichtet, dass Sie es als ein Ziel sehen, Ihren Verein zu digitalisieren. Warum? Und wie weit sind Sie damit schon vorangekommen?

Kullmann: Nun, prinzipiell ist es aus meiner Sicht so, dass nach und nach Menschen in unseren Verein nachrücken, die mehr oder weniger keine Berührungsängste mit der digitalen Welt wie etwa Internet und Smartphone haben. Darauf muss und will ich vorbereitet sein. Gerade erst im Oktober ist unsere Webseite „www.nachbarschaftshilfe-flammersfeld.de" online gegangen. Dort präsentieren wir unseren Verein, stellen uns vor und kündigen unsere Aktivitäten an. Darüber hinaus können sich unter anderem auch Angehörige hilfsbedürftiger älterer Menschen, die beispielsweise nach Hilfemöglichkeiten im Netz suchen, über unser Angebot informieren und so den Kontakt zu uns aufnehmen.

Zukünftig möchte ich zudem die Vereinsarbeit in einem gemeinsamen Datenpool online organisieren, sodass alle verantwortlichen Vereinsmitglieder auf denselben Datenbestand, Dokumente und Formulare zugreifen können und alle Daten in einer sicheren Cloud abgelegt werden.

Für diese Aufgaben konnte ich ein junges Vereinsmitglied, Carsten Pfeiffer, gewinnen, der uns mit seinem Fachwissen und seiner Erfahrung hilft unseren Verein zukunftssicher aufzustellen.

„Da schlummert noch ein großes Potenzial“

Wer unterstützt Sie noch bei der Vereinsarbeit?

Kullmann: Die Nachbarschaftshilfe Flammersfeld wird durch einen siebenköpfigen Vorstand geführt, in dem jede Person wichtige Aufgaben übernommen hat. Einen Verein mit rund 330 Mitgliedern kann man nicht allein führen, das will und kann ich nicht leisten, daher ist es mir wichtig, die Aufgaben auf so viele Schultern wie möglich zu verteilen, sodass jede und jeder einzelne sich nicht überfordert fühlt. Zum Beispiel organisieren die stellvertretende Schatzmeisterin Renate Schmidt und meine Frau Hildegard die monatlichen Aktivitäten wie Fahrten, Grillfeste oder Kinobesuche. Wie gerade erwähnt ist Herr Pfeiffer für unseren Webauftritt zuständig, ein Aufgabenfeld, das klar umrissen ist und für ihn so kalkulierbar war. Des Weiteren konnte ich mit Nadja Heinen eine junge Frau aus dem Verein gewinnen, um unsere Webseite zu pflegen. Dies leistet sie neben ihrer Familie und ihrem Beruf im Rahmen von ein bis zwei Stunden im Monat. So werden meiner Ansicht nach die Vereinsmitglieder nicht überfordert und bleiben dem Verein erhalten und keiner wird abgeschreckt, sich zu engagieren. Außerdem gibt es kleine, schnelle Erfolgserlebnisse.

Es kann schon sein, dass vieles im Verein auch etwas langsamer läuft als ich es vom Berufsleben gewohnt war, aber es ist wichtig, den Helferinnen und Helfern ihren Raum zu lassen.

Wie sieht neben dem Vorstand ihre weitere Vereinsstruktur aus?

Kullmann: Von unseren rund 330 Mitgliedern unterstützt der größte Teil den Verein durch die Beiträge und über freiwillige Spenden. Etwa 40 Mitglieder sind in der eigentlichen Vereinsarbeit aktiv, das heißt sie leisten die notwendige Vorstandsarbeit oder/und die gewünschten Hilfen wie Fahrdienste zum Arzt, Krankenhaus oder zum Einkaufen. Darüber hinaus nutzen ca. 80 Vereinsmitglieder die Angebote zu monatlichen Aktivitäten wie zum Beispiel Ausflugsfahrten zum Kloster Maria Laach, zur Brombeerschenke, einer Schifffahrt auf dem Rhein oder einem Kinobesuch. Aus meiner Sicht wäre es natürlich schön, wenn sich mehr Vereinsmitglieder aktiv am Vereinsleben beteiligen würden. Viele haben sich beim Eintritt in die Nachbarschaftshilfe gegen oder für aktive Mitarbeit im Verein entschieden, dies müsste man von Zeit zu Zeit erneut abfragen, um so vielleicht den einen oder die andere für Aufgaben im Verein zu gewinnen, wenn sich seine oder ihre Lebenssituation verändert hat. Ich bin davon überzeugt, da schlummert noch ein großes Potenzial.

Wie versuchen Sie die Mitglieder zu erreichen und zu mehr Engagement zu bewegen?

Kullmann: Im Moment ist es so, dass Informationen an die Vereinsmitglieder einerseits durch die örtliche Presse und das örtliche Mitteilungsblatt erfolgen und andererseits über einen E-Mail-Verteiler an alle Mitglieder, die eine E-Mailadresse hinterlegt haben. Das sind rund 90 Personen. Für unsere geplanten Aktivitäten wie Fahrten und Feste bringen wir halbjährlich einen Flyer heraus, den wir zum Beispiel im Rathaus, in der örtlichen Hausarztpraxis, bei Banken und örtlichen Geschäften auslegen. Natürlich nutzen wir dafür jetzt auch unsere neue Webseite. In einer kleinen Gemeinde wie Flammersfeld ist aber auch die Mund-zu-Mund-Übermittelung von Informationen nicht zu unterschätzen. Dies sind momentan die Kommunikationswege in unserem Verein.

Aber wie gerade schon angedeutet habe ich zukünftig vor, an alle Vereinsmitglieder nach Bedarf einen Brief zu schreiben, um unter anderem über vereinsinterne Vorgänge und Aufgaben zu informieren und auch Vereinsmitglieder zu motivieren, sich in der Nachbarschaftshilfe zu engagieren. Vielleicht will sich ja heute im Verein jemand einbringen, der früher dazu keine Zeit hatte.

Mobilität ermöglichen, Vereinsamung entgegenwirken

Nun einmal weg von den Strukturen, hin zu den Inhalten Ihrer Nachbarschaftshilfe: Worin besteht deren Haupttätigkeit?

Kullmann: Flammersfeld ist eine kleine Gemeinde im ländlichen Raum, wo der öffentliche Nahverkehr nur sehr eingeschränkt zur Verfügung steht. Dazu kommt, dass viele unserer Vereinsmitglieder, die Hilfeleistungen in Anspruch nehmen wollen, körperlich eingeschränkt sind und daher viele Situationen wie Arztbesuche, Termine in Krankenhäusern – etwa in Bonn, Neuwied oder Koblenz – alleine nicht bewältigen können. Auch das Einkaufen ist für viele eine Hürde, die sie ohne die Hilfe der Nachbarschaftshilfe nicht erledigen könnten. Viele Mitglieder nutzen dieses Angebot regelmäßig und verknüpfen mit einer Fahrt gleich mehrere Erledigungen. Daher sind Fahrdienste – neben dem Angebot von regelmäßigen gemeinsamen Aktivitäten, um der Vereinsamung entgegenzuwirken – die Hauptaufgabe im Verein

… und die Fahrtdienste laufen über Privat-PKWs?

Kullmann: Nicht nur. Die Aufgabe der Fahrdienste wird uns erleichtert durch unser Vereinsauto, welches wir im Jahr 2017 von der Westerwald Bank eG Volks- und Raiffeisenbank im Rahmen der Aktion „VRmobil“ erhalten haben. Es steht den Helferinnen und Helfern zur Verfügung, wenn sie ihr eigenes Fahrzeug nicht einsetzen wollen, um Fahrten für die Nachbarschaftshilfe durchzuführen. Für die erbrachten Leistungen erhalten sie Zeitpunkte, die sie dann bei Eigenbedarf wieder einlösen können.

Diejenigen, die Hilfe in Anspruch nehmen, bezahlen eine Verwaltungskostenpauschale von 2,00 Euro für die erste Stunde und einem Euro für jede weitere angefangene Stunde, wenn sie nicht Zeitpunkte einsetzten können. Zudem bezahlen Sie pro gefahrenen Kilometer 35 Cent.

Setzen Helfende ihren eigenen PKW ein, bekommen sie für die Fahrtkosten 40 Cent pro Kilometer. Den Differenzbetrag von 5 Cent übernimmt der Verein.

Welche Angebote sind sonst noch nachgefragt?

Kullmann: Über die Fahrdienste und organisierten Ausflüge und Veranstaltungen hinaus werden auch Besuchsdienste bei Alten, Kranken und Hilfsbedürftigen, Schreibdienste, kleine Reparaturarbeiten verschiedenster Art, leichte gärtnerische Arbeiten und Entlastung betreuender Angehöriger angeboten. Diese Angebote sind vor allem gedacht, um in Notsituationen zu helfen, aber nicht, um diese Aufgaben dauerhaft zu erledigen, da dies die Möglichkeiten des Vereins überschreitet. Aus meiner bisherigen Erfahrung heraus, werden sie auch nur sehr wenig angefragt.

Wer organisiert diese Dinge maßgeblich von wo aus?

Kullmann: Das Disponieren der Hilfeleistungen organisiere ich von zu Hause aus. Ich versuche in der Woche täglich von 9:00 Uhr morgens bis nachmittags 17:00 Uhr telefonisch erreichbar zu sein, um Anfragen entgegenzunehmen. Dabei sollen sich alle Beteiligten bemühen, mir genug Vorlaufzeit zu geben, um die entsprechenden Hilfeleistungen zu organisieren.

Digitalisierung „mit Augenmaß und Geduld umsetzen“

Was sind ihre kurz- mittel- und langfristigen Ziele?

Kullmann: Das wichtigste Ziel für mich ist es, die Funktionsfähigkeit der Nachbarschaftshilfe Flammersfeld zu erhalten und weiterzuentwickeln. Im nächsten Jahr steht das zehnjährige Vereinsjubiläum an, was wir im Sommer gebührend feiern wollen. Darüber hinaus werde ich versuchen in den Verein hinein zu hören, um Bedarfe für neue Angebote herauszufinden. Die sukzessive Digitalisierung der Nachbarschaftshilfe Flammersfeld will ich mit Augenmaß und Geduld umsetzen.

Vielen Dank Herr Kullmann für das Gespräch.

Weitere Informationen auf der Webseite des Vereins oder der Projektdarstellung auf der Webseite der Landesinitiative.