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Projekt des Monats September/Oktober: In Unkel wurde soziale Teilhabe erfolgreich ins Rollen gebracht

In der Verbandsgemeinde Unkel im Norden von Rheinland-Pfalz fährt seit 2018 ein Bürgerbus durch die Ortschaften und schafft die Mobilität, die der öffentliche Personennahverkehr so nicht leisten kann.

Von Tür zu Tür – so funktioniert das Prinzip des Bürgerbusses und leistet gerade für ältere und für mobilitätseingeschränkte Menschen gute Dienste. Viele Ehrenamtliche in der rund 13.000 Einwohner zählenden Verbandsgemeinde Unkel tragen durch ihren Einsatz und ihr Engagement dazu bei, dass viele Menschen ein Stück Unabhängigkeit erhalten oder bewahren können, berichtet Holger Diedenhofen, der Teamleiter des Bürgerbusses. Ihr Einsatz erfordert dabei nicht nur ein hohes Grad an Organisation sondern ist auch mit nicht unerheblichen Kosten verbunden, wie der 57-jährige, der hauptberuflich als Fährführer auf dem Rhein arbeitet, zu berichten weiß.

 Holger Diedenhofen (Foto: privat)

Von der Thekenidee zum selbstorganisierten Projekt

Herr Diedenhofen, warum und wie ist es zum Bürgerbus in Unkel gekommen?

Diedenhofen: Ins Rollen gekommen ist das Ganze mit einem Thekengespräch. Die Idee wurde dann aufgegriffen vom Senioren- und Behindertenbeirat Unkel und an den Verbandsgemeinderat herangetragen. Dieser fasste schließlich den Beschluss, einen Bürgerbus als Träger zu starten, wenn gesichert ist, dass das Projekt die Verbandsgemeinde kein Geld kostet. Daraufhin wurden Sponsoren gesucht und gefunden. Der Sponsor „Bluhm-Fonds“ erklärte sich bereit, für die ersten drei Jahre die Betriebskosten des Busses zu übernehmen. Die einzige Bedingung dabei war, dass mit dem Bus Fahrten mit Kundinnen und Kunden zur Tafel übernommen werden. Somit konnte das Projekt im März 2018 starten. Schnell hatten die Beteiligten jedoch erkannt, dass es notwendig ist, dieses Projekt auf eigene, selbstständige Füße zu stellen und so bildete sich das Team Bürgerbus. Dieses arbeitet seitdem weitestgehend selbstorganisiert.

Wie teuer ist in etwa der Unterhalt des Bürgerbusses? Und wie stemmen Sie diese Kosten?

Diedenhofen: Das Land hat einmalig 8500 Euro als Förderung bezahlt. Als laufende Kosten fallen ca. 2100 Euro im Jahr für Steuer und Versicherung an, die Leasingrate schlägt monatlich mit 410 Euro zu Buche. Der Diesel kostet uns etwa 200 Euro im Monat.

Da die Nutzung des Bürgerbusses kostenfrei ist, hängt zudem eine Spendenbox im Bus, in der im Jahr ca. 1000 bis 2000 Euro Spendengelder zusammenkommen. Ein Teil daraus wird für die regelmäßigen Teambesprechungen, die wir etwa bei einem Frühstück abhalten, oder beispielsweise für eine Weihnachtsfeier genutzt. Der Großteil der Spenden fließt aber in den Unterhalt des Busses und notwenige Anschaffungen wie z.B. Warnschutzjacken für die Fahrer und Fahrerinnen oder in die Transportkisten für Lebensmittellieferungen der Tafel.

Wie sind Sie organisiert?

Diedenhofen: Unser Bürgerbus-Team besteht derzeit aus 25 bis 30 Mitgliedern, die zwischen 25 und 80 Jahre alt sind. Zirka 15 davon sind Fahrer und Fahrerinnen, zwölf Personen arbeiten im Telefondienst, der in einem Büro, das uns die Verbandsgemeinde zur Verfügung gestellt hat, stattfindet.

Dort werden zweimal in der Woche, montags und mittwochs von 14 bis 16 telefonisch die Fahrtenanfragen angenommen und in ein Computerprogramm eingetragen, das von einem computeraffinen Mitglied unseres Team erstellt worden ist. So werden z.B. sofort zeitliche Doppelanfragen erkannt und es können Alternativtermine organisiert werden. Neben der Hinfahrt wird in jedem Buchungsfenster auch eine Rückfahrt mit angeboten – also von der Haustür bis wieder zur Haustür. Am Dienstende erhalten die Fahrerinnen und Fahrer ihre individuellen Fahrpläne per E-Mail.

Die Personen des Fahr- und Telefondienstes organisieren sich untereinander via Google-Drive – wer also wann Zeit hat, um die wöchentlich acht Fahrtschichten bzw. zwei Telefondienstschichten zu übernehmen.

Wohin fährt der Bürgerbus wann und wer nutzt diese Fahrten?

Diedenhofen: Allgemeine Fahrten finden in der Regel am Dienstag und Donnerstag zwischen 8 und 18 Uhr in je einer Früh- und einer Spätschicht statt. Hinzu kommt eine Freitagsschicht von 8 bis 12 Uhr. Am Montag, Mittwoch und Freitagnachmittag fährt der Bus dann zur Tafel nach Linz.

Die meisten allgemeinen Fahrten finden im Umkreis von Unkel, Erpel, Linz und Bad Honnef statt, was in einem Radius von ca. 20 km liegt. Diese Fahrten werden überwiegend von älteren mobilitätseingeschränkten Damen genutzt, etwa zum Arzt, zur Physio, ins Krankenhaus, zum Spieletreff, ins Hallenbad oder ins Altenheim und natürlich auch zum Einkauf. Gerne werden aber auch schon einmal Pendeldienste angenommen, beispielsweise zu Veranstaltungen vom VdK oder der AWO. Oft erhalten wir auch Anfragen für Fahrten nach Bonn, etwa in die Augenklinik an der Uni. Da eine einfache Fahrt nach Bonn aber rund 40 Minuten dauert, können wir das nicht leisten, denn der Bus wäre damit zu lange geblockt.

Müssen die Fahrer des Busses besondere Voraussetzungen mitbringen?

Diedenhofen: Fast alle unsere Fahrerinnen und Fahrer sind im Rentenalter. Als Mindestanforderung – egal für welches Alter – wird die Fahr- und Steuerfähigkeit, die sogenannte G25-Untersuchung verlangt. Diese muss regelmäßig erneuert werden und hängt individuell von dem Gesundheitszustand der Personen ab. Die meisten bei uns müssen jährlich dorthin, manche aber auch in etwas längeren Abständen. Das gilt es nicht nur zu organisieren sondern verursacht je Untersuchung Kosten von rund 200 Euro.

„Wir kommen langsam auch an unsere finanziellen Grenzen“

Die Kontaktbeschränkungen in der Coronapandemie hat sicherlich auch Ihre Arbeit auf den Kopf gestellt, wie mussten und konnten sie reagieren?

Diedenhofen: Zu Beginn der Pandemie wurde zunächst einmal der Betrieb des Bürgerbusses komplett eingestellt. Es gab dann nur noch Lebensmitteltransporte zu den Tafelkunden. Auch Einkaufsdienste haben wir angeboten, die aber nur wenig nachgefragt wurden, da diese zumeist in den gut funktionierenden Nachbarschaften organisiert und übernommen wurden.

Mit den Impfungen haben wir dann rund 90 Fahrten ins Impfzentrum nach Oberhonnefeld-Gierend durchgeführt, was mit ca. 40 km Fahrt auch nicht gleich um die Ecke lag. Erst langsam haben wir dann wieder Fahrten mit Einzelpersonen aufgenommen. Jetzt läuft die Nachfrage nach Fahrten aber wieder an. Im Gegensatz zur der Zeit vor Corona sind wir aber immer noch nicht voll ausgelastet. Fahrten, die wir früher durchgeführt haben, etwa für Flüchtlingsdamen zu Sprachkursen, finden noch immer nicht statt. Hatten wir vor Corona im Jahr 2019 rund 3600 Fahrgäste, so waren es 2021 nur noch etwa 950 Fahrgäste plus ca. 450 Tafellieferungen.

Die Coronazeit war ein echter Einbruch für uns, sodass wir langsam auch an unsere finanziellen Grenzen kommen.

Was können bzw. unternehmen Sie gegen diese finanzielle Notlage?

Diedenhofen: Der Bus ist bereits mit Werbeaufklebern versehen um Einnahmen zu generieren. Wir müssen nun aber verstärkt Spenden für die laufenden Kosten akquirieren. Wenn das nicht funktioniert, wäre es denkbar, einen Antrag an den Verbandsgemeinderat zu stellen, mit dem Ziel, dass die Verbamdsgemeinde die laufenden Kosten des Busses absichert und für ein eventuelles Defizit aufkommt. Als Mitglied des Rates werde ich das mit meiner Fraktion besprechen und sehr wahrscheinlich Anfang nächsten Jahres einen Antrag einbringen.

Ein Bus Für Vertrautheit, Selbstständigkeit und Spaß am Leben

Was würde das Aus des Bürgerbusses in Unkel für Konsequenzen haben? Oder umgekehrt gefragt: Was haben Sie mit dem Bürgerbus bisher erreicht?

Diedenhofen: Wir haben definitiv dazu beigetragen, die soziale Teilhabe von mobilitätseingeschränkten Menschen zu verbessern. Viele konnten durch den Bürgerbus mehr Kontakte pflegen bzw. aufrechterhalten etwa durch Fahrten zu Freunden und Verwandten in den verschiedenen Ortsteilen der Verbandsgemeinde. So haben sich z.B. regelmäßige Treffs in Cafés entwickelt oder die Teilnahme an Seniorentreffen ist garantiert.

Insgesamt ermöglicht der Bürgerbus vielen Personen ein längeres Leben in ihrer vertrauten Umgebung, indem sie selbstständig Termine planen können oder den Einkauf erledigen. Es verabreden sich auch Nachbarn zur gemeinsamen Fahrt, zum Spieletreff oder auch zum hoffentlich bald wieder stattfindenden gemeinsamen Mittagsessen-Angebot in der Mensa der Realschule plus.

Was gehört zu den schönsten Erlebnissen oder Erfahrungen, die Sie bisher durch Ihr Engagement beim Bürgerbus gemacht haben?

Wir haben ein hoch motiviertes Team und es macht sehr viel Spaß mitzuarbeiten. Die Fahrgäste sind sehr dankbar und fahren gerne „längere Umwege“ mit uns, um sich währenddessen mit unseren Fahrgästen und Fahrern auszutauschen. Denn wir fahren ja Menschen und keine Nummern.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Bürgerbusses

Diedenhofen: Wir benötigen weiterhin mehr Fahrerinnen und Fahrer, dahingehend müssen wir jetzt unbedingt aus dem „Coronatal“ heraus und auch mehr Werbung für uns und unsere Arbeit betreiben – ich hoffe mit Erfolg!

Und natürlich wünsche ich mir, dass unserer Arbeit auch durch den Verbandsgemeinderat in Form von einer finanziellen Beteiligung eine größere Wertschätzung erfährt.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Diedenhofen!

Weitere Informationen auf der Webseite des Bürgerbus Unkel und über die Selbstdarstellung auf der Webseite der Landesinitiative.