Wir sind für unsere Nachbarn da, insbesondere für ältere und beeinträchtigte Menschen sowie Alleinstehende und Alleinerziehende, heißt es auf der Webseite des erst seit einem halben Jahr bestehenden Vereins, der von Karl-Heinz Pastoors (71) vor genau einem Jahr initiiert wurde und dessen Vorsitzender er heute ist. Der Evangelische Diakon und Sozialbetriebswirt im Ruhestand, der sich nicht nur in einem Dorfladen oder Kulturverein, sondern auch lange ehrenamtlich in Kreis- und Landesseniorenräten in Baden-Württemberg engagiert hat, hat mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern in kurzer Zeit eine gut funktionierende Nachbarschaftshilfe in Mainz-Bretzenheim aufgebaut, die wachsen möchte. Mit Engagement dabei ist auch die zweite Vereinsvorsitzende Francoise Treese (67). Die Übersetzerin und Psychologin, die ebenfalls viel ehrenamtliche Erfahrung – so beim ambulanten Hospizdienst, der psychosozialen Krebsberatung oder der Telefonseelsorge – in die Vereinsarbeit mitbringt, berichtet im gemeinsamen Interview mit Pastoors über die ersten Erfahrungen und Erfolge der Arbeit im Verein, der gerade erst sein erstes Frühlingsfest gefeiert hat.
Karl-Heinz Pastoors und Francoise Treese (Bild: privat)
Nachbarn füreinander – ein schöner und griffiger Name für eine Nachbarschaftshilfe, was bedeutet Ihnen Nachbarschaft und wie verlief die Gründung aus Ihrer Sicht, Frau Treese?
„Wir müssen selbst anpacken“
Treese:Mir bedeutet Nachbarschaft sehr viel, durch meine vielen Umzüge innerhalb Deutschlands und in europäischen Ländern, konnte ich Nachbarschaft in vielen Facetten erleben. Dort, wo die Menschen offen sind und füreinander da sind, habe ich mich am wohlsten gefühlt. Allerdings wollte und musste ich mich selbst viel einbringen. Inzwischen hat Nachbarschaftshilfe eine politische Seite: wir können nicht mehr alles vom Staat erwarten, wir müssen selbst anpacken! Durch die hohe fachliche und soziale Kompetenz von Karl-Heinz Pastoors ging die Vereinsgründung schnell über die Bühne. Die Leute waren begeistert, die Stadt Mainz ebenso. Die bürokratischen Hürden waren nicht unerheblich.
„Es ist noch viel zu früh, um die Hände in den Schoß zu legen“
Herr Pastoors, Sie haben die Vereinsgründung vor genau einem Jahr initiiert. Wie kam es dazu?
Pastoors: Ich habe zuletzt in Baden-Württemberg gelebt und dort viele Jahre als stellvertretender Vorsitzender im Landesseniorenrat gearbeitet. Mir waren Initiativen wie die Seniorengenossenschaft Riedlingen bekannt, die schon seit über 30 über Jahren existiert, wusste also, was zu tun ist und dass solche Nachbarschaftsinitiativen funktionieren.
Lange vor der Gründung habe ich Kontakt mit der Stadt Mainz und der Ortsvorsteherin aufgenommen, auch mit Gemeindeschwester plus und dem Pflegestützpunkt Gespräche geführt. Nach meinem Umzug nach Mainz habe ich natürlich die Ehrenämter in BAWÜ aufgegeben und begonnen, ein solches Projekt auch in meiner neuen Heimatstadt aufzubauen. In der Mainzer Allgemeinen Zeitung habe ich dann vor einem Jahr einen Zeitungsaufruf für die Initiative gestartet, es gab mehrere Treffen und seit Oktober 2023 sind wir ein Verein, mit derzeit fünf Vorstandsmitgliedern.
…und Sie sind ja auch recht erfolgreich innerhalb dieser kurzen Zeit gewesen. Wie erklären Sie sich den Erfolg?
Pastoors: Durch die Verteilung unserer Flyer und durch eine gute Pressearbeit wurden viele auf uns aufmerksam und unterstützen unsere Initiative. Wir haben innerhalb eines halben Jahres bereits 80 Mitglieder gewinnen können, wovon etwa die Hälfte auch ehrenamtliche Helfer geworden sind. Viele Menschen suchen in der Zeit nach dem Berufsleben eine neue, sinnvolle Beschäftigung. Die Kinder sind oft weit weg, die beruflichen Herausforderungen liegen hinter einem, aber es ist noch viel zu früh, um die Hände in den Schoß zu legen.
Treese: Der demografische Wandel macht solche Projekte notwendig, überall. Ältere Menschen suchen nachbarschaftliche Hilfe, aber zunehmend auch soziale Kontakte. Sie erkennen das ja auch an unserer Mitgliederstruktur, das Durchschnittsalter ist über 60 Jahre, die jüngsten sind um die 40 Jahre, mehr Frauen als Männer. Um möglichst viele Menschen für unseren Verein zu begeistern, halten wir bewusst den Mitgliedsbeitrag sehr niedrig mit zwei Euro im Monat.
„Gute Netzwerkarbeit und Kooperationen sind fundamental“
Haben Sie schon eine Idee, wie Sie die Jüngeren erreichen können?
Treese: Natürlich haben wir die Hoffnung, dass durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit unsere gute Arbeit so attraktiv ist, dass auch manch Jüngere zu uns stoßen. Auch möchten wir einen Kontakt zum Studierendenwerk in Mainz aufbauen. Ehrenamtliche erhalten bei uns ja eine Aufwandsentschädigung von zehn Euro die Stunde, das ist nicht weit weg vom 13 Euro Mindestlohn und vielleicht auch reizvoll für einige junge Studenten, da sie gleichzeitig noch etwas Soziales machen, was wir auch gerne bescheinigen. Auch gilt es in den nächsten Monaten Kontakte zu bestehenden Jugendgruppen aufzubauen, die an der ein oder anderen Stelle sich ja auch engagieren könnten. Wir veröffentlichen aber auch unsere Arbeit und Veranstaltungen auf digitalen Netzwerken wie nebenan.de. Eine gute Netzwerkarbeit und die Kooperationen mit Stadt und Ehrenamtsbüro sind fundamental für uns. Das Allerwichtigste ist aber nach wie vor die Mund zu Mund Propaganda. Gutes verbreitet sich automatisch.
Von A bis Z: breites Angebot von der Arztbegleitung bis zum Zuhören – Putzhilfe, die große Not
Welche Angebote sind bei Ihnen begehrt?
Pastoors: Bisher hatten wir einige Anfragen in der Woche. Die meisten alleinstehenden älteren Menschen sind auf der Suche nach einer Putzhilfe, das ist offenbar die größte Not. Leider können wir diesen Menschen auch nicht helfen – mal die Gardinen abhängen und waschen ist vielleicht drin, aber mehr geht nicht, da verweisen wir auf professionelle, besser bezahlte Angebote.
Gute Erfahrungen haben wir bisher gemacht mit kleinen Reparaturen, Einkaufs- oder Begleitdiensten. So hat etwa ein antriebsarmer 92-jähriger Mann darum gebeten, regelmäßig zum Spazieren begleitet zu werden, damit er auch aus der Wohnung kommt.
Treese: Einer Familie mit schwerkrankem Angehörigen konnten wir an eine spezialisierte ambulante Palliativ-Versorgung weitervermitteln, den Kontakt zum stationären Hospiz konnten wir ebenfalls vermitteln. Wir unterstützen zudem durch regelmäßige Anrufe, pflegen eine kontinuierliche Begleitung von beeinträchtigten Menschen, z.B. bei kleineren Reparaturen, Gartenpflege oder Einkäufen. Soziale Kontakte – einfach einmal Zuhören – sind das Wichtigste.
Pastoors: Unsere Angebote sind wirklich sehr vielfältig: Von der Begleitung beim Arzt bis zum Aufbau eines Vogelhäuschens. Es wurden auch schon zwei Terrassen „gekärchert“, Softwareprobleme wurden gelöst und die Benutzung vom Smartphone erleichtert.
Wie haben Sie die Angebotsvermittlung organisiert?
Pastoors: Über unser Hilfetelefon sind wir Montag bis Freitag von 10 bis 16 Uhr erreichbar. Zurzeit wird dieser Telefondienst von einem Helfer aus dem Vorstand gewährleistet, wir müssen uns alle noch einarbeiten. Dieser Helfer nimmt die Anfrage entgegen, führt ein ausführliches Gespräch mit dem Hilfesuchenden. Eine Anfrage kann uns aber auch über die Homepage via Mail erreichen.
Bei Anfragen, bei denen eine längere oder besondere Hilfe nötig erscheint, besuchen zwei Vorstandsmitglieder den Hilfesuchenden und überlegen sich nach einem etwa halbstündigen Gespräch eine individuelle Betreuung.
Verein fördert soziale Kontakte und Freundschaften
Wir haben eine Liste der Mitglieder des Vereins, in der sie die Tätigkeiten angeben, die sie übernehmen können. Wir kontaktieren denjenigen, der am nächsten wohnt und bitten ihn, mit dem Hilfesuchenden Kontakt aufzunehmen. Es können auch mehrere Helfer sein. Danach soll es möglichst flexibel weiterlaufen, wir bleiben alle in Kontakt und beraten uns eventuell gegenseitig. Die Idee ist ja auch, dass es zu regelmäßigen sozialen Kontakten kommt. So hat etwa eine schwerbehinderte Frau jemanden, der regelmäßig für Begleitungen zur Verfügung steht, und eine andere Person, die im Garten oder bei Reparaturen zur Hand geht. Über die Unterstützungsangebote gewinnen wir übrigens auch die meisten neuen Vereinsmitglieder.
Was glauben Sie, sind die Motivationen der Helfenden für ihr Engagement?
Treese: Die Helferinnen und Helfer können vieles selbst entscheiden, wieviel Zeit sie investieren möchten, und wie sie die Hilfe gestalten möchten, ob sie einfach nur Besuche anbieten, oder ins Café oder spazieren gehen. Wie in einer üblichen Nachbarschaft kann auch eine Freundschaft entstehen. Das ist Grund genug im Verein mitzumachen!
Zuverdienen oder Ansparen für den späteren Bedarf
Pastoors: Die Helferinnen und Helfer können auch entscheiden, ob sie sich die Vergütung gutschreiben lassen oder gleich die Vergütung annehmen. Für viele Menschen, die nur wenig Rente haben, ist ein monatlicher Zuverdienst von vielleicht 80 Euro schon sehr viel. Wer sich das Geld gutschreiben lässt, kann es in späteren Jahren verwenden, wenn er selbst Hilfe benötigt. Sollte der Verein irgendwann aufgelöst werden, wird diese eingezahlte Summe an die Person selbst oder deren Angehörigen ausbezahlt.
Treese: Zudem ist unser wöchentlicher Treff, dienstags zwischen 15 und 17 Uhr mit Kaffee und Tee für Helfende und Vereinsmitglieder als sozialer Treffpunkt wichtig. Dort werden neue Kontakte vermittelt und geknüpft, man verabredet sich dann später auch zu privaten Unternehmungen.
Gut geschult ins Ehrenamt
Auf ihrer Vereinswebseite sind mir noch zwei interessante Dinge aufgefallen: Zum einen bieten Sie für die Ehrenamtlichen Schulungen an, um was geht es dabei?
Treese: Dabei geht es um ganz allgemeine Dinge, die für das Engagement in unserem Verein wichtig sind: Wie ist man versichert, welche Formulare sind wichtig, wie steht es um die Schweigepflicht oder wie verhält man sich beim ersten Kontakt mit einer hilfesuchenden Person, wenn man das erste Mal zu ihr nach Hause kommt.
Als nächstes ist eine Schulung geplant, in der wir über die Bedeutung von Netzwerken sprechen und welche Anbieter es in Mainz gibt, die wichtig für uns sind, wie z.B. den kostenlosen Fahrdienst für Menschen über 70 Jahre. Für unsere Helfer und Helferinnen ist es wichtig zu wissen, wer welche Beratung anbietet, dass es Digitalbotschafter gibt, die Hilfe anbieten bei technischen Problemen mit Handy, Computer etc.
Zukünftig wollen wir aber auch Fortbildungen zu verschiedenen Themen wie Gesprächsführung, Demenz, palliative Versorgung anbieten. Neben dem Lernen stehen der Austausch und der kommunikative Aspekt der Treffen im Vordergrund.
Aufklären und nutzen: Entlastungsbetrag
Zum anderen steht auf Ihre Webseite, dass Sie zukünftig auch Leistungen über den Entlastungsbeitrag der Pflegeversicherung abrechnen wollen. Wann wird das sein?
Pastoors: Es gibt eine Reihe von Menschen, die unsere Hilfe in Anspruch nehmen, die einen Pflegegrad haben. Professionelle Anbieter von Dienstleistungen, die mit den Pflegekassen abrechnen nehmen oft über 40 Euro für eine Stunde. Da ist bei drei Stunden der Entlastungsbetrag von 125 Euro aufgebraucht. Da können wir als Verein schon viel mehr bieten. Viele Menschen wissen auch gar nicht, dass ihnen dieser Betrag zur Verfügung steht. Diese Menschen werden dann von uns aufgeklärt.
Um allerdings die Anerkennung als Nachbarschaftshilfe zu bekommen, sind bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen. Wir als junger Verein sind dabei, uns gerade in diesen Bereichen zu qualifizieren. Es werden zum Beispiel ein Erste-Hilfe-Kurs und ein polizeiliches Führungszeugnis benötigt. Wir hoffen, dass wir in drei Monaten so weit sind, dass unser Verein auch von den Pflegekassen anerkannt werden kann.
Apropos Webseite, diese finde ich sehr informativ und ansprechend, haben Sie diese selbst gestaltet?
Pastoors: Die Webseite wurde professionell von einem Designer mit uns gemeinsam gestaltet, ebenso unser Flyer. Wir haben für die Öffentlichkeitsarbeit unseres Vereins Fördergelder von der Stadt Mainz und vom Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung bekommen. Diese Mittel müssen für Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt werden, das hat sich auch gelohnt!
Frau Treese, Sie hatten ja bereits auf die Bedeutung von Netzwerken hingewiesen, die sie in den Schulungen thematisieren. Wie gut sind Sie mit der Stadtverwaltung und in ihrem Stadtteil vernetzt?
Treese: Neben den guten Kontakten zu Stadt und Ortsverwaltung sind Kontakte zu Kirchengemeinden sowie zu einem Kulturverein in Bretzenheim, ZMO, vorhanden. Dieser Verein stellt uns wöchentlich einen Raum zur Verfügung, in dem wir uns jeden Dienstag von 15 bis 17 Uhr treffen können. Für Feste und Versammlungen steht zudem ein großer Saal kostenlos zur Verfügung. Im April haben wir dort unser Frühlingsfest mit über 40 Mitgliedern gefeiert.
Sehr gute Kontakte haben wir auch zur Gemeindeschwester plus bei der Stadt Mainz und auch zu den Pflegestützpunkten. Sie wenden sich an uns, falls sie für eine ältere Person Unterstützung brauchen.
„Bekannter werden und Arbeit über mehrere Stadtteile ausdehnen“
Welche Ziele haben Sie sich für Ihre Arbeit gesetzt?
Treese: Trotz intensiver Öffentlichkeitsarbeit möchten wir bekannter werden, wir hoffen, dass auch jüngere Menschen sich für unsere Arbeit interessieren.
Pastoors: Wir wollen nicht nur in Bretzenheim aktiv sein. Einige Mitglieder kommen aus anderen Stadtteilen, schön wäre es, wenn dort kleine Hilfsgruppen entstehen, das ist ein klares Ziel.
Weitere Informationen über die Projektdarstellung auf der Webseite der Landesinitiative und die Vereinswebseite.