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Projekt des Monats Januar/Februar: Gelungener Generationenwechsel im Verein Helferkreis Selzen nach 25 Jahren

Trotz vielen Mitgliedern und tollen Angeboten drohte dem alteingesessenen Verein in Selzen das Aus, das aber zum Glück der Gemeinde abgewendet werden konnte.

Etwas über 1500 Menschen leben in der Gemeinde Selzen, die im Landkreis Mainz-Bingen liegt. In dem kleinen Weinort engagieren sich seit 25 Jahren Menschen im Helferkreis Selzen e.V., in dem etwa jeder zehnte Einwohner Vereinsmitglied ist. Und dennoch schien der Verein im Fortbestand bedroht, da lange Zeit keine Nachfolge für den Vereinsvorstand gefunden wurde. Das hat sich zum Glück geändert, als Stefan Bremler und ein neues Team, den Staffelstab übernommen haben. Der 57-jährige Diplom-Verwaltungswirt arbeitete bei der Telekom und befindet sich seit zwei Jahren im „engagierten Vorruhestand“ – eine besondere vom Arbeitgeber geförderte Ruhestandsregelung – und engagiert sich seitdem nicht nur als Mitarbeiter beim Institut für Geschichtliche Landeskunde Rheinland-Pfalz e.V. sondern seit August 2022 eben auch als Vereinsvorsitzender beim Helferkreis Selzen. Wie es dazu kam, welche Herausforderungen mit solch einem Umbruch verbunden sind und welche Angebote der Verein bietet und auch weiterhin bieten wird, lesen Sie im Interview.

Mann mit blauem Pulli hält Hand am Kinn und grinst Stefan Bremler (Foto: privat)

Herr Bremler, im vergangenen Jahr hat der Helferkreis Selzen sein stolzes 25-jähriges Jubiläum gefeiert. Haben Sie dies mit einer Feier oder einer besonderen Veranstaltung gewürdigt?

Bremler: Ja, das haben wir. Pünktlich zum beeindruckenden Jubiläum stand ja auch eine außergewöhnliche „Staffelübergabe“ an einen neuen Vorstand an. Von daher lag es nahe, beide denkwürdigen Momente zusammenzubringen und eine öffentliche Jubiläumsmitgliederversammlung abzuhalten. Eingeladen waren etwa 150 Mitglieder, Interessierte, Vereine, Gemeindevertreter, Öffentliche Stellen und Unterstützer. Etwa 75 Anwesende, davon 55 Mitglieder, bildeten dann einen angemessenen Rahmen für die Würdigung der in den letzten 25 Jahren geleisteten gemeinnützigen Arbeit und den ehrenamtlichen Einsatz des langjährigen Vorstands.

Im Anschluss an den eher formalen Teil der Veranstaltungen mit Wahlen, Grußworten und Ehrungen wurde dann gefeiert. Nach einem gemütlichen Beisammensein mit Kaffee, Kuchen und fotografischen Erinnerungen aus 25 Jahren lud – in der festlich geschmückten Turnhalle –  eine Gesangsgruppe die Anwesenden mit Evergreens zu einer gemeinsamen musikalischen Reise und zum Mitsingen ein.

Gratulation nochmals zu Ihrer Wahl! Was war denn Ihre Motivation, sich aufstellen zu lassen und einen so lang etablierten Verein in der Gemeinde Selzen in die Zukunft zu führen?

Bremler: Vielen Dank! Nun, ich habe bezüglich der Feierstunde von einem außergewöhnlichen und denkwürdigen Moment gesprochen. Das ist nicht übertrieben, weil eine Ära endete. In den 25 Jahren seit Bestehen des Vereins bestimmten die Gründungsmitglieder Marliese Reitzel und Hilde Keil engagiert und ehrenamtlich die Geschicke des Helferkreis Selzen – natürlich unterstützt von zahlreichen Mitstreitern und Mitstreiterinnen. Bereits seit einigen Jahren wollte vor allem die bisherige 1. Vorsitzende Marliese Reitzel alters- und gesundheitsbeding kürzertreten und suchte aktiv eine Nachfolgerin bzw. einen Nachfolger. Dies gestaltete sich jedoch sehr schwierig. Eine interne Lösung aus dem Verein heraus war eine naheliegende Lösung. Diese war bereits auf einem guten Weg als sie dann doch scheiterte. Da wir in einem Projekt zusammenarbeiteten, führte Marliese Reitzel auch mehrere Gespräche mit mir. Als dann die Suche ergebnislos blieb und ein Ende des so wichtigen Vereins drohte, willigte ich ein, die Nachfolge zu übernehmen.

„Ein gefühlter Neustart nach 25 Jahren gelebter und personalisierter Strukturen ist nicht ganz einfach“

Gab es neben Ihnen weitere Wechsel im Vorstand? Und wie stellen Sie sich gerade für die nähere und weitere Zukunft auf?

Bremler: Der neue Vorstand, der im August letzten Jahres die Arbeit aufgenommen hat, besteht aus sieben Personen, das sind im Einzelnen 1. Vorsitzender, 2. Vorsitzende, Schriftführer, Kassiererin und drei Beisitzerinnen. Nur der Schriftführer und eine Beisitzerin waren auch Teil des vorhergehenden Vorstands. Also ein doch recht großer Wechsel in der Vereinsspitze. Natürlich ist so ein gefühlter Neustart nach 25 Jahren gelebter und natürlich auch personalisierter Strukturen nicht ganz einfach.

Zunächst einmal war es das Ziel, sich einen Gesamtüberblick zu verschaffen, Schulungen zu besuchen, Gespräche zu führen und bewährte und langjährige Angebote wie zum Beispiel die häusliche Unterstützung, den Spielenachmittag oder die Seniorengymnastik fortzuführen. In einer ersten Maßnahme wurden die ehrenamtlichen Einkaufsfahrten für Seniorinnen und Senioren näher an den Verein gebunden und damit der Versicherungsschutz für die Fahrer erhöht. Zudem haben wir eine Beteiligung an den Fahrten des Bürgerbus Rhein-Selz e.V. auf den Weg gebracht. Dies wird das Angebot der Einkaufs- und Erledigungsfahrten ergänzen.

Natürlich gibt es bereits erste Überlegungen für zukünftige neue Aktivitäten. Beispielsweise wird geprüft, inwieweit ein Mittagstisch mit und für Seniorinnen und Senioren umsetzbar wäre. In Planung bzw. Überlegung  sind Informationsveranstaltungen zur Betrugsmasche „Enkeltrick“ und zur Benutzung von Rollatoren. Wir hoffen, schon bald den Projektsteckbrief des Helferkreis Selzen e.V. auf der Webseite der Landesinitiative um das ein oder andere Angebot ergänzen zu können. 

Alle Vereinsangebote stehen für alle Bürgerinnen und Bürger von Selzen offen

Gehen wir doch etwas mehr ins Detail. Was gehört noch zu den bewährten Angeboten Ihres Vereins?

Bremler: Der Helferkreis Selzen hat sich grundsätzlich zum Ziel gesetzt, hilfsbedürftigen Personen, die aufgrund von Krankheit und Gebrechlichkeit ihren Alltag nicht mehr allein bewältigen können, in Haus und Garten stundenweise zu unterstützen und zu betreuen, sowie Vorträge zu diversen Themen und Angebote gegen Vereinsamung anzubieten.

Gegen die Vereinsamung bieten wir mit unseren Helfern und Helferinnen verschiedene Möglichkeiten der Begegnung. Dazu gehören die bereits genannten wöchentlichen Spielenachmittage, Bewegungsangebote, Stammtische und Hausbesuche. Dazu zählen auch die Einkaufsfahrten mit den ehrenamtlichen Fahrern und privatem PKW, denn hier ist der anschließende gemeinsame Kaffee ein willkommener und beliebter Abschluss des kleinen „Ausflugs“. Beim Spielenachmittag „kloppen“ zumeist die Herren Skat, während die Frauen das Kartenspiel Skip-Bo und Gespräche bevorzugen.

Welchen Stellenwert haben denn die geradeerwähnten Unterstützungsangebote für Haus und Garten oder Betreuung?

Bremler: Diese Leistungen bilden neben den Begegnungsangeboten eine weitere große Säule des Helferkreises und haben einen großen Stellenwert. Wie alle Angebote des Vereins stehen diese nicht nur den Mitgliedern offen, von daher ist hier die Nachfrage doch verhältnismäßig hoch. Die Art der Unterstützung ist sehr individuell und kann Putztätigkeiten, Hilfe beim Kochen, Gartenarbeit, Vorlesen und gemeinsames Spazierengehen umfassen. Zu betonen ist hier allerdings, dass die Hilfe nicht medizinische oder pflegerische Aspekte umfasst und der Helferkreises nur bei gesundheitlichen und altersbedingten Einschränkungen unterstützt. Derzeit betreuen wir mit neun Helferinnen und einem Helfer insgesamt zwölf Familien. Der Unterstützungsaufwand schwankt in den Familien zwischen sechs bis 15 Stunden im Monat.

Günstiger Jahresbeitrag, ein Anreiz für die Vereinsmitgliedschaft

Wenn alle Selzerinnen und Selzer von solch einem Angebot profitieren können, wie haben Sie dies organisiert, auch in finanzieller Hinsicht?

Bremler: Zunächst ist zu sagen, dass die häusliche Unterstützungsleistung für die betreuten Familien nicht kostenlos ist und die Helferinnen und Helfer einen Stundenlohn erhalten. Dieser muss sich in Summe natürlich im Rahmen der Jahreshöchstbeträge der Ehrenamtspauschale bewegen. Über diesen Stundenlohn hinaus erhält der Helferkreis einen Euro je Arbeitsstunde. Allerdings wird dieser dazu verwendet, die Unfallversicherung für die Helfer zu finanzieren.

Und somit lebt der Verein hauptsächlich aus den Einnahmen durch die Mitgliedsbeiträge – dieser beträgt für jedes Mitglied 18,40 Euro im Jahr und er wurde seit 25 Jahren nicht angehoben! Dazu kommen private Spenden und Fördergelder. Natürlich weisen wir auch alle, die Leistungen in Anspruch nehmen, darauf hin, einen Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen, was in den meisten Fällen auch gerne getan wird.

Geregelte Angebote zur Unterstützung im Alltag

Sie weisen in den Vereinsinformationen darauf hin, dass bei anerkanntem Pflegegrad auch eine Abrechnung durch die Pflegekasse möglich ist, es sich also um ein anerkanntes Angebot zur Unterstützung im Alltag handelt. Wie genau ist dies geregelt?

Bremler: Genau. Im Grunde genommen werden beim Vorhandensein einer entsprechenden Pflegestufe die Kosten für die häusliche Unterstützung von den Krankenkassen im Rahmen der Verhinderungspflege übernommen.

Der Ablauf sieht wie folgt aus: Der Helferkreis hat einen Pool aus Helferinnen und Helfern. Darin befinden sich keine Mitglieder einer Pflegeorganisation, sondern Mitbürger. Jeder kann ohne spezielle Qualifikation im Helferkreis tätig sein. Bei Bedarf bringt der Helferkreis Hilfesuchende und Helfer zusammen. Die betreuten Personen erhalten dann vom Helferkreis eine Rechnung über die Arbeitsstunden mit festgelegtem Stundenlohn und können diese gegebenenfalls bei ihrer Krankenkasse einreichen. Die Betreuten zahlen die Helfer aus und geben den Euro für die Versicherung an den Helferkreis.

„Die Helferzahl müsste eigentlich wachsen“

Nun, das hört sich insgesamt so an, als ob der Pool der Helferinnen- und Helfer recht ausgelastet ist. Haben Sie Ideen, wie dieser wieder mit weiteren Personen aufgestockt werden könnte?

Bremler: Ein paar Zahlen vorab. Ende 2000, also drei Jahre nach Gründung des Helferkreises, hatte Selzen 1412 Einwohner. Davon waren rund 33 Prozent über 50 Jahre und 15 Prozent über 65 Jahre alt.

2021 hatte Selzen 1521 Einwohner und nun war bereits knapp die Hälfte von ihnen über 50 Jahre und fast 23 Prozent über 65 Jahre alt – Tendenz steigend. Dazu kommt, dass sich die dörfliche Struktur gewandelt hat, es gibt etwa weniger Großfamilien und weniger Hilfe aus der Verwandtschaft.

Der Bedarf nach häuslicher Unterstützung steigt. Derzeit ist die Zahl der Helfer zwar stabil, aber sie müsste eigentlich wachsen. Erste Anfragen können bereits nicht mehr bedient werden. Hier müssen wir in den nächsten Wochen Aufrufe starten und hoffen, den ein oder anderen neuen Helfer bzw. Helferin zu finden.

„Herr oder Frau ‚Jedermann‘ sind die wichtigsten Partner“

Welches sind Ihre wichtigsten Partner im Ort und näheren Umkreis?

Bremler: Im Ort sind natürlich Gemeindevertretung und Kirchengemeinde zu nennen, deren Räumlichkeiten wir für unsere diversen Aktivitäten nutzen dürfen. Auch der Kontakt zu anderen Vereinen ist naturgemäß eng. Darüber hinaus gibt es im Ort auch noch andere Institutionen und private Initiativen, welche ebenfalls die Älteren im Fokus haben. Da ist zu nennen der Seniorennachmittag der Gemeinde, die Stiftung Senfkorn, die in kleinem Umfang altersgerechtes Wohnen ermöglicht, oder die privat bzw. von anderen Vereinen organisierten Veranstaltungen „Gemeinsames Singen“ oder „Tanzcafé“.

Der wichtigste Partner ist aber Herr oder Frau „Jedermann“. Also jede Person, die sich ehrenamtlich oder gegen ein kleines Entgelt aktiv für hilfsbedürftige Menschen einsetzt. Jede helfende Hand oder finanzielle Unterstützung ist willkommen.

Digital? Ja, aber…

Wie sind Ihr Verein und Ihre Mitglieder digital aufgestellt? Können Sie digitale Medien schon erfolgreich nutzen?

Bremler: Dazu möchte ich zunächst ein negatives Beispiel anführen. In den Wochen vor Weihnachten haben sich die Einwohner von Selzen wieder – wie in den Jahren vor Corona – vor den Adventsfenstern im Ort versammelt, das heißt man trifft sich jeden Abend bei einer anderen Familie oder Institution, um sich gemeinsam bei Gesang, Gedichten und Glühwein auf die Weihnachtszeit einzustimmen. Dieses Mal wurden die Treffpunkte seitens der Gemeinde aber nur digital kommuniziert. Die Folge war, dass viele ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger ausgeschlossen waren.

Die digitale Kommunikation kann also kein Ersatz, sondern sollte zunächst nur eine Ergänzung sein – gerade für die Generationen, die sich nicht mit dem Internet auskennen. Gleichwohl, ganz verweigern kann sich den neuen Medien aber kein Verein mehr. Der Helferkreis Selzen hat eine veraltete und sehr einfache Homepage, die gerade in moderner Form neugestaltet und aufgebaut wird. In Zukunft wird es aber auch Aufgabe sein, Ältere mit Schulungen und Infoveranstaltungen an die digitale Welt heranzuführen. Ein gemeinsames Projekt mit dem Blog „Der Selzer“ war hier durchaus hilfreich.  

Vom Blog zum Buch

... was hat es damit auf sich?

Das Projekt startete Anfang 2021 zum Zeitpunkt der strikten Kontaktbeschränkung aufgrund der Corona-Pandemie. Natürlich waren vor allem die älteren und besonders gefährdeten Personen von den Corona-Maßnahmen betroffen und mussten auf ihre sozialen Kontakte verzichten. Hier kam zusammen mit dem Helferkreis die Idee auf, den Selzer Bürgerinnen und Bürgern im Rahmen einer Mitmach-Aktion eine Beschäftigung zu geben und somit den Austausch zu fördern. Sie wurden dazu aufgefordert, die Geschichte ihrer Häuser und Familien zu erzählen. Mitglieder des Helferkreises und der Betreiber des Geschichtsblogs halfen dabei, die Geschichten zu formulieren und zu veröffentlichen. Diese lesens- und erhaltenswerten Geschichten mit vielen alten Fotografien und Anekdoten wurden auf der Blog-Seite „DER SELZER“ unter https://www.derselzer.de veröffentlicht. Nun sollen die Anekdoten in einem Buch veröffentlicht werden, um allen Bürgerinnen und Bürgern Zugang zu den Geschichten zu ermöglichen.

Ein schönes Projekt, finde ich. Haben Sie schon andere Ideen, die Sie für die nähere Zukunft angehen möchten?

Bremler: Ideen gibt es tatsächlich viele. Die Frage aber ist: Wofür reicht der finanzielle und personelle Spielraum?

… womit ihr Verein sicher nicht allein dasteht. Wo sehen Sie denn Ihren Verein mittel- und langfristig beziehungsweise was wünschen Sie ihm für die nächsten 25 Jahre?

Bremler: Ich hoffe, dass der Verein die kommenden Zeiten mit ihren einschneidenden Veränderungen und den vielen neuen Anforderungen übersteht und in 25 Jahren eine weitere Jubiläumsmitgliederversammlung veranstalten kann.

Ich wünsche dem Verein immer genug Menschen, die sich für die Gemeinschaft engagieren.

Dem schließe ich mich an. Vielen Dank für das Gespräch Herr Bremler!

 

Weitere Informationen zum Verein finden Sie auf der Vereinswebseite sowie der Darstellung des Projektetes auf der Webseite der Landesinitiative.

Die Ergebnisse der Mitmach-Aktion des Vereins „Selzer Häuser erzählen“ finden Sie hier.

Klicken Sie zudem auf den SWR-Fernsehbeitrag zum Helferkreis Selzen vom 4.5.2022.