„Kontakthalten“ und „Auf-sich-aufmerksam-machen“ sind nach Angaben von Annette Oberländer-Renner, der 1. Vorsitzenden von Bürger für Bürger in Hackenheim, zwei wesentliche Schlüsselelemente für die erfolgreiche Arbeit aller Engagierten der selbstorganisierten Nachbarschaftshilfe. Diese haben sich bewusst gegen eine Vereinsgründung entschieden und wollen mit unterschiedlichen Angeboten für alle Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde im Landkreis Bad Kreuznach Dasein. Im folgenden Interview berichtet die 63-jährige Initiatorin, die in einem Softwareunternehmen arbeitet, wie sich die Nachbarschaftsinitiative gegründet, organisiert und – heute bereits über das Dorf hinaus – etabliert hat.
Annette Oberländer Renner (Foto: privat)
Frau Oberländer-Renner, Sie haben Ende August mit „Bürger für Bürger in Hackenheim“ neben zwei weiteren Initiativen die Landesinitiative Neue Nachbarschaften an einem Stand auf dem Ehrenamtstag in Bad Kreuznach mitvertreten. Wie haben Sie den Tag erlebt und zu welchen Kontakten ist es gekommen?
Oberländer-Renner: Für unsere Initiative war es das erste Mal, dass wir am Ehrenamtstag dabei waren, noch dazu als Aussteller. Und da er direkt vor unserer Haustür stattfand, haben wir die Möglichkeit genutzt uns, um auf uns aufmerksam zu machen. Und da wir vorher im Verbandsblatt der Verbandsgemeinde Bad Kreuznach für einen Besuch bei uns geworben haben, kamen doch einige Interessierte und Bekannte auf ein Gespräch vorbei. Dabei war unser Mitglied, Norbert Ries, sehr gefragt, denn er hat schon viele Jahre ehrenamtlich Bürger und Bürgerinnen bereits vor Gründung unserer Initiative betreut. So kamen etwa einige Menschen von Initiativen auf uns zu, deren Projekt eingeschlafen ist, und die uns nach Tipps gefragt haben, wie wir unser Projekt am Laufen halten. Dies gelingt uns etwa dadurch, dass wir uns bei den Ortsvereinen, Kitas und Schulen vorstellen, Treffen für Interessierte zu bestimmten Themen veranstalten z. B. zu Demenz, Pflegestützpunkten oder diverse Beratungsdienste. Wir beteiligen uns auch aktiv an Veranstaltungen im Dorf, wie dem Gesundheitstag der Gemeinde, am Fastnachtsumzug oder am Weihnachtsmarkt mit eigenem Stand.
Aber auch für uns war der Ehrenamtstag sehr interessant und zu sehen, welche Vielfalt Ehrenämter haben können. Einige Aussteller haben wir am Stand besucht und zu ihren Aktivitäten befragt, wobei wir wiederum Anregung für uns mitnehmen konnten.
Sie haben sich nicht als Verein, sondern als eine selbstorganisierte Nachbarschaftshilfe aufgestellt. Warum und wie kam es dazu?
Oberländer-Renner: Im Frühjahr 2015 habe ich mich gefragt, wie man sich in der Gemeinde einbringen könnte und vom ersten Beigeordneten der Gemeinde erfahren, dass es viele ältere Menschen in Dorf gibt, die sich über Hilfe im Alltag freuen würden. Mit einer Handvoll Hackenheimer haben wir dann das weitere Vorgehen beratschlagt und uns bei anderen Organisationen und der Landesinitiative „Wir tun was“ informiert und Anregungen mitgenommen. Parallel haben wir immer die Bürgerinnen und Bürger von Hackenheim mit einbezogen und zu Veranstaltungen eingeladen. Dabei haben wir etwa mitbekommen, dass viele derjenigen, die Interesse zeigten, sich zu engagieren, etwa die Versicherungsfrage wichtig war. Von Anfang an war es zudem den meisten wichtig, keinen weiteren Verein wie so viele im Dorf zu gründen mit klassischen Vereinsstrukturen, Ämtern oder Mitgliedsbeiträgen.
Über persönliche Ansprache und Anzeigen im Verabandsgemeindeblatt konnten wir schließlich weitere Mitglieder gewinnen und veranstalteten im Oktober 2015 das erste Treffen unserer Initiative.
Nachdem wir geprüft hatten, was wir an Hilfe anbieten möchten und können, haben wir eine Broschüre mit Fragebögen für Hilfesuchende an die Hackenheimer Haushalte verteilt und einen ständigen Aushang im Gemeinde-Infokasten erhalten. Mit dem Eintreffen der ersten Hilfe-Anfragen, haben wir dann regelmäßige Treffen zum Austausch und zur Weiterentwicklung unserer Initiative organisiert.
Gut vernetzt in kürzester Zeit Hilfe vermitteln
Wie viele Menschen engagieren sich bei ihrer Nachbarschaftshilfe und wie organisieren Sie sich?
Oberländer Renner: Unsere Struktur ist über die Jahre gewachsen, Mitglieder kommen und gehen, die meisten von ihnen sind von Anfang an dabei. Derzeit sind es 17 Helfer und Helferinnen im Alter von 57 bis 75 Jahren. Im Monat haben wir ca. elf bis 15 Anfragen, von denen einige regelmäßig kommen. Für Anfragen haben wir inzwischen außer mir, noch zwei weitere Ansprechpersonen mit Kontaktdaten im Dorf bekanntgegeben, damit schneller organisiert werden kann. Sollte dies darüber nicht möglich sein, bekommen alle Mitglieder ein Rundmail von mir mit Schilderung der Anfrage, so dass wir in kürzester Zeit Hilfe vermitteln können. Dieser Prozess ließe sich durch digitale Medien eventuell noch verbessern.
Um Parteien, Gewerbe und Vereinen nicht in die Quere zu kommen, haben wir uns politisch neutral aufgestellt. Wir unterstützen Hackenheimer Vereine, Kirchen, das Volksbildungswerk, die Malteser oder die Gemeinde, mit z. B. Fahrdiensten zum Café Malta, eine wöchentliche Veranstaltung der Malteser für an Demenz erkrankte Personen oder begleiten etwa bei Gottesdienstbesuchen. Wir helfen bei Veranstaltungen der Gemeinde und bei wiederkehrenden Arbeiten wie Gartenpflege, Haushaltsführung, größere Arbeiten rund um Haus oder Wohnung vermitteln wir an Fachdienste. Unsere Hilfe richtet sich nach unseren Möglichkeiten – kurzfristig und kurzzeitig.
Von der Kinderbetreuung bis zum Einsatz für Menschen mit Demenz
Sie betonen bei der Selbstdarstellung der Bürger für Bürger in Hackenheim ihre generationenübergreifenden Angebote für Jung und Alt? Warum ist Ihnen dies so wichtig und spiegelt sich dies neben den Angeboten auch in den Anfragen an Sie wider?
Oberländer-Renner: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass der Hilfebedarf der älteren Menschen begrenzt ist und sich auf bestimmte Bedarfe richtet. Unser Dorf wächst, es gibt wieder mehr Familien und Alleinerziehende mit Kindern. Hier können wir beispielsweise unterstützen oder entlasten in vielen Bereichen: bei Kinderbetreuung, Aufgabenhilfe, Fahrten zu Sport- und Freizeitangeboten, Integrationsarbeit, Nachbarschaftshilfe oder auch bei der Haustierbetreuung wegen Urlaub oder Kur. Dabei hat unsere Initiative bereits gute Erfahrungen gesammelt. So haben wir z. B. einen neunjährigen Jungen regelmäßig zum Fußfallkurs gefahren, da die Mutter mit ihren drei Kindern das zeitlich nicht leisten konnte oder wir haben mit Kindern einer syrischen Familie Deutsch gelernt und bei den Hausaufgaben geholfen. Um auf diese verschiedenen Dienste aufmerksam zu machen, sind etwa Haustürbesuche mit Abgabe eines Flyers wichtig, aber auch Kontakte zu Kindergärten, Schulen und Vereinen.
Dem gegenüber stehen ja ganz andere Bedarfe für die ältere Generation. Was gehört hier zu Ihren erfolgreichsten Angeboten? Haben Sie Berührungspunkte zu Unterstützungen bei Demenz oder gar Pflege?
Oberländer-Renner: Gerne angenommen werden etwa Fahrten zum Arzt, Friseur, Einkaufen, Stadtbummel, Spazierengehen, zu Pflegetreffen oder anderen Veranstaltungen. Aber auch Hausbesuche zur Unterhaltung oder die Hilfe beim Ausfüllen von Formularen werden geschätzt. Was wir nicht machen sind pflegerische Arbeiten, dafür sind wir nicht ausgebildet, da können wir nur unterstützend tätig sein.
Das gilt insbesondere auch rund um Personen, die an Demenz erkrankt sind. Wir organisieren hier z.B. für unsere Initiative zur Weiterbildung oder als Veranstaltung für Interessierte aus dem Ort Fachvorträge von verschiedenen Hilfsorganisationen wie Pflegestützpunkte, Sozialstation, DRK, Malteser, Hospiz, AWO oder Betreuungsvereine. Auf dem Weihnachtsmarkt 2019 hatten wir eine schöne Aktion zur Aufklärung über das Thema Demenz, indem wir die Cartoon-Ausstellung „DeMensch – Mensch & Demenz durch Humor gekonnt in Szene gesetzt“ organisiert haben und für einen menschenfreundlichen Umgang mit dieser Personengruppe geworben haben. Unterstützt haben wir auch die Aktion SOS, „Grüne Notfalldosen“ für den Kühlschrank, damit der Arzt, das Rote Kreuz oder andere im Notfall gleich den darin befindlichen Medikamentenplan finden können. Die Dosen haben wir organisiert, im Dorf beworben und verteilt. Das kam gut an und wird heute noch angefragt.
„Dranbleiben“, auch wenn’s hakt
Wie gut sind Sie eingebunden in Ihrer Gemeinde, fühlen Sie sich ausreichend unterstützt?
Oberländer-Renner: Inzwischen sind wir in unserer Gemeinde angekommen, man kennt uns und vertraut uns. Das spricht sich auch in den Nachbargemeinden rum, man hat dort Verwandte und Bekannte und so geht unsere Hilfe hin und wieder auch über unser Dorf hinaus.
Für unsere Treffen können wir unentgeltlich die Räumlichkeiten im Kulturhof nutzen und Veranstaltungen abhalten. Auch in finanzieller Hinsicht werden wir von der Gemeinde mit einer Spende bedacht, die wir gerne annehmen, denn damit finanzieren wir z. B. einen Erste-Hilfe-Kurs für uns Mitglieder oder die Anschaffung für Werbematerialien, die wir für unsere Aktionen wie Fastnacht Weihnachtsmarkt oder Gesundheitstag benötigen.
Gerne würden wir uns auch im Dorf selbst noch einbringen, mit z. B. einer „Mitfahrerbank“ als Spende für die Menschen, die nicht mehr gut zu Fuß oder behindert sind und die Öffentliche Verkehrsmittel meiden, weil sie unbequem sind. Doch damit stoßen wir beim Gemeinderat auf Unverständnis, man befürchtet, dass die Verkehrsbetriebe dann irgendwann die Haltestellen in Hackenheim weniger anfahren. Andere Gemeinden unserer Verbandsgemeinde haben aber solch ein Projekt inzwischen erfolgreich umgesetzt, ohne dass diese Befürchtung eingetreten ist. Ergo: Wir bleiben weiter dran.
„Fit für neue Medien machen“
Die Corona-Pandemie hat allerorts vieles verändert und durcheinandergebracht. Wie sah und sieht das bei Bürger für Bürger in Hackenheim aus? Haben Sie die digitalen Kontakt- und Kommunikationswege nutzen oder ausbauen können?
Oberländer-Renner: Für 2020 hatten wir uns wieder einige Aktionen zur Erweiterung unserer Initiative und Veranstaltungen für unser Dorf geplant. Leider wurden wir im März komplett ausgebremst. Das ganze Dorf wurde in ein Dornröschen-Schlaf versetzt, es hat sich keiner mehr vor die Tür getraut. Viele Betreuungsaufträge wurden eingestellt, nur die Mutigen ließen sich noch den Einkauf vorbeibringen oder zum Arzt fahren. Auch unsere Mitglieder waren verständlicherweise um sich selbst besorgt und anfangs zurückhaltend. Und doch konnten wir mit den AHA-Regeln und großer Vorsicht Bürger und Bürgerinnen bei der Beantragung der Impftermine helfen und zu den Impfstationen fahren und begleiten.
In dieser Zeit lief unsere Kommunikation nur über E-Mail oder Telefon, da einige unserer Mitglieder den Kontakt der neuen Medien scheuen oder nicht umsetzten können. Das ist ein Punkt, an dem wir gerade arbeiten.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Initiative?
Oberländer-Renner: Dass die Bürger und Bürgerinnen, die unsere Hilfe-Angebote bereits in Anspruch genommen haben, uns fleißig weiterempfehlen und dass sich auch jüngere Bürger und Bürgerinnen für unsere Sache begeistern können und ihre Dienste anbieten.
Ich wünsche mir, dass wir es schaffen werden, dass unsere Dienste nicht nur bei der älteren Generation, sondern auch bei jungen Familien, Alleinerziehenden und Alleinstehenden mehr gefragt sind.
Ich hoffe zudem, dass wir unsere Initiative fit für die neuen Medien machen und gegebenenfalls eine eigene vernetzte Homepage pflegen. Außerdem möchten wir einen Digitalen Botschafter oder Botschafterin in unserer Initiative integrieren, der oder die sowohl unsere Belange wie auch die der Senioren und Seniorinnen bedienen kann beziehungsweise diese dafür begeistern kann
Und zu guter Letzt wünsche ich mir, dass wir wieder regelmäßige Mitgliedertreffen und Veranstaltungen im Kulturhof anbieten können.
Hilfe und Wissen weitergeben
Abschließend: Was gehört zu den schönsten Erlebnissen, die Sie als Initiatorin der Nachbarschaftshilfe erlebt haben? Gibt es etwas, worauf Sie besonders stolz sind, und würden Sie rückblickend alles wieder genauso machen?
Oberländer-Renner: Das schönste Erlebnis kann ich so nicht benennen. Für mich zählt alles, was unserer Initiative geschafft und erlebt hat, zu den schönsten Erlebnissen, denn hinter jeder Hilfe gibt es eine Geschichte.
Was mich besonders freut, ist das unser Projekt über die Dorfgrenzen hinaus bekannt ist und sich neu gründende Organisationen von uns beraten lassen. Das haben wir auch den Medien zu verdanken, die uns immer wieder gerne einmal vorstellen.
Stolz bin ich darauf, dass unsere Mitglieder es immer wieder ermöglichen, die Wünsche der Hilfesuchenden zu erfüllen, gerade auch in Zeiten wie Corona. Auch darauf, dass unsere Initiative ohne einen Vereinsrahmen bislang gut funktioniert.
Rückblickend würde ich auch alles noch einmal so machen, allerdings mit mehr Unterstützung bei der Organisation.
Vielen Dank für das Gespräch Frau Oberländer-Renner.
Weitere Informationen zur Nachbarschaftsinitiative finden Sie auf der Webseite der Verabandgemeinde Bad Kreuznach, welche die Inhalte gerade aktualisiert, oder in der Projektdarstellung auf der Webseite der Landesinitiative.