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Projekt des Monats September: Das tolerante, nachbarschaflich geprägte (Schammat)Dorf in der Stadt

Die Vielfalt in Gemeinschaft leben ist ein Prinzip, das von den fast 250 Bewohnerinnen und Bewohnern des Schammatdorfes in Trier in einer lebendigen Nachbarschaft gelebt wird. Eine Erfolgsgeschichte seit nunmehr über 40 Jahren. Mit vielen weiteren Plänen blicken die Verantwortlichen und Bewohnerinnen und Bewohner in die Zukunft.

Die Benediktinerabtei St. Matthias plante in den 1970er-Jahren auf ihren Feldern vor den Toren der Abtei das Schammatdorf gemeinsam mit der Wohnungsbau und Treuhand AG (gbt) und in Zusammenarbeit mit dem Sozialdezernat der Stadt Trier. Ein intergenerationelles, inklusives und soziales Wohngebiet sollte entstehen. 1979 zogen die ersten Mieter und Mieterinnen ein. In Trägerschaft der Abtei St. Matthias wurde das Dorf immer wieder erweitert und präsentiert sich heute als ein buntes, vielfältiges Wohnviertel, in dem sich auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer wohlfühlt. Anja Loch ist seit fast sechs Jahren die „Kleine Bürgermeisterin“ des Dorfes. Schon beim ersten Gespräch am Telefon merkt man, dass sie ein Dreh- und Angelpunkt für die Bewohnerinnen und Bewohner ist. An Fenster und Tür ihres Büros haben sie mit der Diplom-Pädagogin etwas zu besprechen oder schauen auf einen Plausch vorbei. Im Interview mit der 52-Jährigen wird klar, warum das Schammatdorf jedes Jahr von vielen Delegationen aufgesucht wird, um sich von diesem besonderen Wohnort für eigene Projekte inspirieren zu lassen.

 Anja Loch (Foto: Inge Duhr)

Frau Loch, das Trierer Schammatdorf gehört zu den ältesten Wohnprojekten in Rheinland-Pfalz und Deutschland. Was sind die wesentlichen Veränderungen zwischen dem Beginn 1979 und heute, gut 40 Jahre später?

Loch: In der Gründerzeit haben viel mehr junge Familien mit kleinen Kindern im Dorf gewohnt als heute. Die Altersstruktur hat sich verändert. Die Bevölkerung im Schammatdorf ist insgesamt älter geworden. Wir haben zurzeit 248 Nachbarinnen und Nachbarn, davon sind 80 Personen (32 %) älter und 168 Personen (68 %) jünger als 60 Jahre. Zunächst bestand das Dorf aus zehn Höfen mit insgesamt 118 Wohnungen. In den 1990er-Jahren kam dann ein elfter Hof hinzu mit 21 Bungalows und drei zweistöckigen Häusern – insgesamt 30 neue Wohneinheiten für Singles und Familien. Von Beginn an war das Schammatdorf als inklusives, intergeneratives, sozioökonomisch gemischtes und multikulturelles Wohnprojekt angelegt, der multikulturelle Aspekt ist in den vergangenen Jahren aber nochmals verstärkt worden. Vieles hat sich in dieser Zeit verändert. Doch das nachbarschaftliche Miteinander – das lässt sich wohl sagen – funktioniert immer noch gut.

Und was könnte man aus Ihrer langen Projekterfahrung lernen? Was macht Sie besonders stolz?

Loch: Das Schammatdorf hebt sich von anderen Projekten dadurch ab, dass die Vielfalt der Nachbarinnen und Nachbarn für dieses Dorf gewünscht, intendiert, konzipiert und umgesetzt wird. Und diese Vielfalt bezieht sich auf alle Aspekte. Denn im Schammatdorf wohnen bewusst Menschen aller Altersgruppen, Gesunde und Menschen mit körperlichen oder psychischen Handicaps, Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und Identitäten, Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen, Menschen ohne oder mit Religionszugehörigkeit unterschiedlicher Konfessionen, Menschen von arm bis reich in allen Abstufungen.

Die Gründungsväter des Schammatdorfes wollten ein tolerantes und nachbarschaftliches gemeinschaftliches Dorf in einer möglichst großen Vielfalt und Heterogenität schaffen – und das ist ihnen auch gelungen und macht uns stolz! Damit diese Erfolgsgeschichte fortgesetzt werden kann, müssen wir weiter daran arbeiten. Das erfordert viel Zeit, ein hohes Maß an Kommunikations-, Kontakt- und Konfliktfähigkeit, an Empathie und Solidarität und sie erfordert vor allen Dingen ein gesundes Augenmaß bei allem Tun und bei allen unterschiedlichen Tätigkeiten in diesem Dorf.

"Gemeinsam bunt"

Haben Sie den 40. Geburtstag eigentlich besonders gefeiert?

Loch: Im Schammatdorf wird oft und gerne gefeiert. So begannen wir bereits vor zwei Jahren mit den Vorbereitungen für das Jubiläum. Mit einem ganzen Reigen besonderer Projekte sollte dieser Geburtstag begangen werden – ein Singspiel, eine Festschrift, eine Fotoausstellung, ein Lichterfest. Etliche Nachbarinnen und Nachbarn brachten sich mit ihren Begabungen ein. Auf diese Weise war die Vorbereitung der Projekte schon die schönste Form gelebter Nachbarschaft – und auch die Ergebnisse sind typisch für unser Dorf.

Verrückt klang zunächst die Idee unser Selbstverständnis musikalisch zu reflektieren. Martin Folz, ein Trierer Musiker und Chorleiter, setzte dies dann um. Mehrere Monate besuchte er Veranstaltungen im Dorf, befragte die Menschen, ließ sich Geschichten erzählen. Gleichzeitig bildete er einen Dorfchor, und ein Dorforchester. Er komponierte für jede einzelne Stimme nach dem Können der Person. So wuchs aus der Vielfalt von Einzelpersonen eine beeindruckende Einheit von Chor und Orchester heran – ganz so, wie es unser Prinzip im Dorf ist: Die Vielfalt in Gemeinschaft zu leben.

Aufgeführt wurde das Werk „Gemeinsam bunt“ zu Beginn des jährlichen Sommerfestes auf dem Dorfplatz. Das Konzert ging dann nahtlos in das große Geburtstagsfest über, zu dem im Laufe von Nachmittag und Abend über 1000 Gäste erschienen sind, die unter der Beteiligung des halben Dorfes bewirtet wurden. Während des Festes gab es dann – wie jedes Jahr – unterhaltsame Darbietungen: Squaredance, Bingo, Tanz mit Leuchtkugeln, eine Band und zum Abschluss um Mitternacht die aufsteigenden Luftballons, allesamt liebgewonnene Elemente und Rituale.

Des Weiteren entstand anstatt klassischer „Festschriften“ ein „Nachbarschaftskochbuch“ mit „Gerichten und Geschichten aus 40 Jahren Miteinander“, das zwei Nachbarinnen liebevoll zusammengetragen und gestaltet haben. Zum anderen erschien der Dorfbote – die vierteljährlich mit 16 Seiten herauskommende Dorfzeitung – mit einer Jubiläumsausgabe von 48 Seiten in Farbe, die eine ganze Reihe reflektierender Interviews und Erinnerungen enthielt.

Im Herbst 2019 wurde zudem eine eindrückliche Fotoausstellung eröffnet. In ihr hat eine Nachbarin Fotos vom „Leben und Wohnen aus der Perspektive eines Rollstuhlfahrers“ gezeigt, für die sie über Monate einen anderen Nachbarn mit ihrer Kamera begleitet hat. Ein Lichterfest im November hat schließlich den Reigen der Geburtstagsprojekte abgeschlossen. Dafür hatten Nachbarinnen und Nachbarn bereits im Frühjahr in zwei Workshops Leuchtkörper gebastelt.

Von der Eifel über Österreich bis Südkorea - Man kennt sich untereinander

Wie es der Name schon sagt, sind sie quasi ein Dorf in der Stadt. Wie äußert sich dies?

Loch: Ja, wir sind ein Dorf in der Stadt, aber ein buntes und vielfältiges Dorf. Wir haben Bewohnerinnen und Bewohner aus Trier, aber auch aus den umliegenden Regionen: der Eifel, dem Hunsrück, dem Saarland und der Pfalz. Darüber hinaus leben hier Menschen aus Berlin, Baden-Württemberg, dem Ruhrgebiet, aus dem Norden und dem Osten der Republik und aus den Nachbarländern Luxemburg, Schweiz und Österreich sowie entfernteren Ländern wie Syrien, Libanon, Ukraine, Kasachstan, Polen, Südkorea, Indonesien und Armenien.

Von der Einwohnerzahl her sind wir eine kleine Dorfgemeinschaft. Dadurch, dass das Schammatdorf im Stadtteil Trier-Süd liegt, sind wir aber auch Teil der Stadtgesellschaft. Wir haben nahe Wege zur Innenstadt und verbinden so die Vorteile des Dorfes mit denen der Stadt. Im Schammatdorf kennt man sich untereinander wie im klassischen Dorf und lebt im aktiven und engagierten Kontakt miteinander. Es finden regelmäßig unterschiedlichste Gemeinschaftsaktivitäten statt: Kiosk, Kneipchen, Sonntagmittagessen, Nachbarschaftskaffee, Montagsgruppe mit ihrem Mitbringfrühstück, Sportgruppen, jahreszeitliche Veranstaltungen wie das Karnevalskneipchen, das Heringsessen an Aschermittwoch, die 1. Mai-Aktivitäten mit Wanderungen und Grillen, das große Sommerfest, Flohmärkte, Konzerte im Herbst und Winter, der Martinsumzug, die Adventsfensteraktion, das Begrüßungsfest für die neuen Nachbarinnen und Nachbarn – um nur die wichtigsten Veranstaltungen zu nennen. Diese können nur durchgeführt werden, weil sich sehr viele aktiv in ihr Gemeinwesen einbringen.

Unser Dorf in der Stadt ist zudem sehr grün; es gibt viele Bäume, Sträucher und Wiesen – und keine Durchgangsstraße. Kinder können auf der Straße spielen. Die Geschwindigkeit auf der Dorfstraße ist auf 20 km/h begrenzt.

"Klein" aber unverzichtbar

Sie sind die „Kleine Bürgermeisterin“ des Schammatdorfes. Was hat es mit der Bezeichnung auf sich?

Loch: Der „Kleine Bürgermeister“ oder die „Kleine Bürgermeisterin“ ist von Beginn an die Bezeichnung für einen Diplom-Pädagogen oder eine Diplom-Pädagogin im Schammatdorf. Die Stelle der „Kleinen Bürgermeisterin“ ist kein Wahlamt, sondern wird öffentlich von der Abtei St. Matthias ausgeschrieben. Ursprünglich war sie nur für die Anlaufphase geplant, um den Bewohnerinnen und Bewohnern beratend zur Seite zu stehen, Initiativen zu fördern, bei Behördenkontakten zu helfen und eine soziale Infrastruktur aufzubauen. Nach den ersten sieben Jahren zeigte sich jedoch, dass auf eine solche Stelle nicht verzichtet werden kann, auch weil etwa die Vielzahl der sozialen Notlagen im Schammatdorf oft eine sozialpädagogische Hilfestellung erfordert.

Da die räumliche Nähe und der häufige Nachbarschaftskontakt neben vielen positiven Erfahrungen auch Konflikte mit sich bringen, moderiere ich Konfliktgespräche der Hofgemeinschaften, um für alle akzeptable Lösungen zu finden.

Ich koordiniere zudem Impulse und Anregungen, die in unserem seit 1987 bestehenden Gemeinschaftshaus entwickelt werden, und die daraus erwachsenen verschiedenen Aktivitäten.

Bei Nachvermietungen steuere ich gemeinsam mit einem Vertreter des entsprechenden Hofes und der Abtei St. Matthias, der den Nachmieter vorschlägt, den Zuzug in eine frei gewordene Wohnung. Dies ist für die gemischte Zusammensetzung aller Wohnhöfe unerlässlich.

Finanziert wird die Stelle der Kleinen Bürgermeisterin übrigens aus Mitteln des Landes Rheinland-Pfalz, der Stadt Trier und der Abtei St. Matthias.

Ineressenabwägung zwischen Individuen, Höfen und dem Dorf

Wie läuft denn so ein Bewerbungsverfahren bei einer Neuvermietung ab?

Loch: Eigentlich seit der Gründung des Dorfes gleich. Wer Interesse an einer Wohnung hat, vereinbart mit mir einen Termin für ein Bewerbungsgespräch, nach dem man auf die sehr lange Warteliste kommt.

Wird eine Wohnung frei, findet in der Regel ein Hofgespräch statt. Die Nachbarinnen und Nachbarn des entsprechenden Hofes können an dieser Stelle abstrakte Wünsche an die neue Nachbarin bzw. den neuen Nachbarn äußern und Impulse für die positive Entwicklung ihres Hofes geben. Bei einem Umzug innerhalb des Dorfes findet zum Schutz der Privatsphäre des Betroffenen kein Hofgespräch statt.

Nach dem Hof- folgt das Abteigespräch, an dem Bruder Eucharius, der Verantwortliche der Abtei, ein Vertreter des Hofes, die Bewerber und ich teilnehmen und bei dem sich die Wohnungsinteressenten vorstellen.

Bevor dann Bruder Eucharius den Belegungsvorschlag an die Wohnungsgesellschaft gbt schickt, berät er sich mit dem Hofvertreter und mir. Dabei wägen wir neben den individuellen Wünschen die Interessen des Hofes und die hofübergreifenden Zusammenhänge des Dorfes gegeneinander ab.

Permanent kommunizieren - Nachbarschaft aktiv leben

Stichwort „Konflikte“: Wie genau gehen Sie mit diesen im Dorf um?

Loch: Wenn es Konflikte und Probleme im Hof gibt, kommt der Hofsprecher oder die Hofsprecherin zu mir und vereinbart mit mir ein Hofgespräch, zu dem ich alle Nachbarinnen und Nachbarn des Hofes ins Dorfzentrum einlade. Diese Konfliktgespräche moderiere ich. Die Konflikte sind dieselben wie in anderen Wohngebieten auch: die Nichteinhaltung von Putz- und Rasenmähplänen, das Zustellen von Kellerfluren und Gemeinschaftsräumen oder nicht angeleinte Hunde. Der Unterschied zu anderen Wohngebieten besteht darin, dass wir versuchen, die Konflikte gemeinsam zu besprechen und eine Lösung zu finden. Wichtig ist, die Konflikte in einem frühen Stadium anzusprechen, bevor sie sich über Eskalationsstufen hochgeschraubt haben.

Neben den Konflikten, wie würden Sie das Verhältnis der Menschen untereinander und Ihr Verhältnis zu den Menschen im Dorf bezeichnen?

Loch: Die meisten Nachbarinnen und Nachbarn leben bewusst und gerne im Schammatdorf, weil ihnen der Kontakt untereinander wichtig ist und sie in aktiver Nachbarschaft leben wollen.

Auch meine Kontakte im Dorf sind sehr eng und zudem barrierefrei. Ich kommuniziere permanent und direkt mit den Bewohnerinnen und Bewohnern. Wenn jemand ein Anliegen, eine Frage, ein Problem hat, dann kann er oder sie zu mir ins Büro kommen. Und dieses Angebot wird von den meisten auch gerne angenommen.

Da wir ein partizipatorisches Projekt sind, finden jährlich eine Mitgliederversammlung des Schammatdorf e. V. statt sowie vier öffentliche Vorstandssitzungen, an denen alle Interessierten teilnehmen können. Bei diesen Sitzungen werden Themen, die das Dorfleben und die Aktivitäten des Vereins betreffen, gemeinsam besprochen und diskutiert.

Kinder und Enkelkinder ziehen zurück ins Dorf

Sind im Dorf schon Kinder zu Eltern oder gar Großeltern geworden und leben immer noch unter ihnen?

Loch: Ja, wir haben Nachbarinnen und Nachbarn, deren Kinder und Enkelkinder mittlerweile in eigenen Wohnungen im Schammatdorf wohnen. Einige der Kinder, die hier aufgewachsen sind, sind als Erwachsene mit ihren Kindern in eine eigene Wohnung wieder zurück ins Schammatdorf gezogen, weil sie die Vorteile des Dorflebens mitten in der Stadt kennen- und schätzengelernt haben.

Die Fluktuation im Dorf ist gering. Im Schnitt werden jährlich zwischen fünf bis sieben Wohnungen frei, weil Menschen sterben oder ins Pflegeheim umziehen, oder weil sie aus familiären Gründen, wie einer Scheidung, oder beruflichen Gründen wegziehen.

Leben Menschen mit Demenz bzw. mit Pflegebedarf im Dorf?

Loch: Zunächst einmal wohnen im Schammatdorf Menschen mit diversen körperlichen und psychischen Handicaps und auch mit leichten geistigen Einschränkungen. Wir haben in jedem Hof vier barrierefreie Wohnungen, die auch an Rollstuhlfahrer oder Menschen mit Gehbehinderung vergeben werden.

Es gibt allerdings kein betreutes Wohnen und wir bieten als Projekt keine Pflege an. Jede und jeder, die oder der ins Dorf zieht, muss selbstständig wohnen können. Allerdings leben bei uns auch einige Personen, die auf eine 24-h-Assistenz angewiesen sind, welche aber eigenständig organisiert wird. Das Dorf hat keine Kooperation mit einem bestimmten Pflegedienst, die unterschiedlichsten davon kommen täglich ins Dorf.

Demente Menschen können im Schammatdorf zumeist länger leben als in einem anderen Wohnumfeld. Meistens müssen sie aber irgendwann in eine Pflegeeinrichtung umziehen.

In Zeiten der Corona-Pandemie: Wohnumfeld und direkte Nachbarschafthilfe funktionieren!

Welche Auswirkungen hatte bzw. hat noch die Corona-Krise auf die Dorfgemeinschaft? Was hat sich verändert oder ist vielleicht sogar neu entstanden?

Loch: In den Wochen des Lock-downs von Mitte März bis Mitte Mai hat die Nachbarschaftshilfe im Schammatdorf außerordentlich gut funktioniert. Gleich zu Beginn der Krise hat der Vorstand aber nochmals explizit auf die direkte Nachbarschaftshilfe, die Teil unseres gemeinschaftlichen Wohnprojektes ist, hingewiesen; schriftlich und mündlich, telefonisch und in der direkten Ansprache auf der Dorfstraße.

Da alle Nachbarinnen und Nachbarn aufgefordert sind, auf ihre Mitmenschen im eigenen Hof zu achten, hat sich dies auch im Krisenmodus bewährt. Ich habe insbesondere die Hofsprecherinnen und -sprecher gebeten, mich zu informieren, wenn sie besonderen Unterstützungsbedarf im ihrem Hof bemerken, der nicht durch Nachbarschaftshilfe abgedeckt werden kann. Für alle Hilfebedürftigen sind wir jederzeit ansprechbar.

In der Anfangsphase der Pandemie haben mich einige angerufen, um zu fragen, ob sie für Ältere oder Menschen mit Handicap im Dorf Einkäufe übernehmen könnten. Die meisten Höfe haben die Nachbarschaftshilfe in ihrem Hof in Eigenregie geregelt: Gesunde und Jüngere haben die Einkäufe für Kranke und Ältere übernommen.

In der heißen Phase der Pandemie wurden persönliche Kontakte weiter gepflegt, durch Telefonieren, WhatsApp-Gruppen, die interne Schammatdorf-Facebook-Gruppe und durch direkte Gespräche auf den Dorfstraßen und in den Höfen. In der Karwoche wurde von vier Personen eine Nähaktion von Mundschutzmasken initiiert, bei der ca. 300 Masken für die Nachbarinnen und Nachbarn genäht wurden. Darüber hinaus hat unsere Dorffotografin Masken mit dem bunten Schammatdorf-Figurenmotiv drucken lassen und dem Schammatdorf e. V. gespendet.

Ab dem 20. April haben viele – über den Telefonkontakt hinaus – auch wieder die Möglichkeit genutzt, an meinem Fenster persönliche Anliegen mit mir direkt zu besprechen. Die räumlichen Gegebenheiten des barrierefreien Schammatdorfzentrums sind und waren auch für den Krisenmodus der Pandemie sehr gut geeignet.

Seit Anfang Mai wurden wieder Beratungs- und Wohnungsbewerbungsgespräche im Dorfzentrum durchgeführt und Mitte Juni das Dorfzentrum wieder für Vermietungen und Gruppen geöffnet. Nach und nach folgten das erste „Kneipchen“ als Biergarten auf dem Dorfplatz, der erste Nachbarschaftskaffee im Dorfzentrum und die Wiedereröffnung des Dorfkiosks.

Bei einem Treffen des Vorstandes mit den HofsprecherInnen, wollten wir erfahren, wie die verschiedenen Höfe die Coronazeit im Dorf erlebt haben und welche Themen und Schwerpunkte für die Höfe in diesen Wochen wichtig waren. Alle haben zurückgemeldet, dass das Miteinander und die Nachbarschaftshilfe in den Höfen sehr gut funktioniert und der Kontakt sich teilweise verstärkt und intensiviert habe, weil viele zu Hause waren. Viele fühlten sich gut umsorgt und waren dankbar für ihr Wohnumfeld gerade in dieser Krisenzeit.

Da unser Dorfzentrum wegen der Pandemie vom 13. März bis 13. Juni geschlossen war, konnten wir auch keine Einnahmen mehr durch die Vermietung des Dorfzentrums akquirieren. Alle wöchentlichen Angebote wie z. B. Montags-, Schach- oder diverse Sportgruppen konnten nicht mehr stattfinden; es gab keine Sonntagmittagessen von April bis August, keine monatlichen Treffen der MS-Gruppe, kein Karaokeabend usw. Dies hat uns im gemeinschaftlichen Miteinander natürlich gefehlt und macht sich auch in der Vereinskasse bemerkbar. Der Jahresabschluss 2020 wird mit Sicherheit ein anderes Ergebnis abbilden als die Abschlüsse der vergangenen fünf Jahre.

Auf demografische Besonderheiten reagieren und den Mehrgenerationenaspekt nicht vergessen

Welches sind die Ziele oder Herausforderungen, die sich das Schammatdorf für die Zukunft gestellt hat?

Damit das Schammatdorf als gemeinschaftliches Wohnen weiterhin funktioniert, werden in Zukunft einige Entwicklungen anstehen, vor allem baulicher Natur. Der Bedarf an der Grundfläche von Wohnraum ist seit der Erbauung des Dorfes gestiegen, insbesondere in Bezug auf barrierefreie Wohnungen – Stichwort Demografischer Wandel –, von denen es noch zu wenige gibt. Auch der Bedarf nach alternativen Wohnformen, v. a. im Alter und im Falle einer notwendigen Pflegesituation, wird steigen. Wie auf diese gesellschaftlichen Entwicklungen reagiert werden kann, ist eine zentrale Fragestellung für das Schammatdorf. Dieses hat zwar das Potenzial, einen Teil der Nachfrage zu bedienen. Eine Herausforderung wird aber sein, den Mehrgenerationenaspekt auch in Zukunft zu gewährleisten und für Familien attraktives Wohnen bieten zu können.

Auch künftig müssen die Wohnungen so belegt werden, dass die Bewohnerschaft heterogen, also gut durchmischt ist. Das Schammatdorf gilt vielen als Schonraum, in dem die Akzeptanz verschiedenster benachteiligter Gruppen recht hoch ist. Wir möchten diese Akzeptanz auch außerhalb des Schammatdorfes fördern und bewusst die Integration in weitere Lebensbereiche vorantreiben. Es ist eine Herausforderung und Chance für alle, die in diesem Bereich verantwortlich arbeiten.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Loch.

Weitere Informationen:

www.schammatdorf.de/

https://neue-nachbarschaften.rlp.de/die-projekte/projekte-finder/projekt/gemeinschaftliches-wohnprojekt-schammatdorf-in-trier