Was auf einem Klostermäuerchen angedacht wurde, präsentiert sich heute Mitten in der Innenstadt von Wittlich, der knapp 20.000 Einwohner zählenden Kreisstadt in der Südeifel im Landkreis Bernkastel-Wittlich: EPPES will nicht nur Hilfe vermitteln sondern versteht sich als eine integrative Anlaufstelle für alle Menschen und ihre Fähigkeiten. Getragen vom Verein Perspektiven bietet EPPES den Raum für Angebote der unterschiedlichsten Art und Weise. Michaele Schneider, die das Projekt mit initiiert hat, ist nicht nur Projektleiterin im Verein, sondern auch Beraterin für Integration, diversitätssensible Themen und Antidiskriminierung, Sprachlehrerin, Puppenspielerin sowie Chorsängerin und kommunalpolitisch aktiv. Die 65-jährige Germanistin ist seit 30 Jahren der Sozialen Arbeit in Kinder- und Jugendeinrichtungen verhaftet mit dem heutigen Schwerpunkt der interkulturellen Arbeit. Im Folgenden berichtet sie unter anderem wie EPPES entstand, wo es heute steht und wie es aufgestellt ist.
Michaele Schneider bei der Arbeit (Foto: privat)
Frau Schneider, Perspektiven so lautet der offizielle Vereinsname. Welche Perspektiven wollen Sie für wen eröffnen? Und wie kam es dazu?
Schneider: Der Gedanke dazu kam beim Shutdown während der Coronapandemie, als wir uns mit einem kleinen privaten Freundeskreis auf der Mauer vor der Klosterkirche in Klausen zu einem Gespräch trafen. Dort haben wir mit Abstand gesessen und überlegt, etwas für Vielfalt, Toleranz und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu tun. Unsere Perspektive oder der rote Faden dabei war, weg von dem Gedanken zu kommen, nur eine weitere Hilfestruktur aufzubauen.
Unser Ziel war und ist es, eine integrative vernetzte Gemeinschaft aufzubauen, in der sich jede und jeder auch selbst einbringt, weil er oder sie das kann. Dafür brauchten wir eine Struktur. Wir möchten langfristig eine Bildungs- und Kulturgenossenschaft gründen, was sehr kompliziert und kostenintensiv ist. Ein Verein war da im ersten Schritt einfacher. Die digitale Gründung erfolgte 2021 im März, seit August 2022 gibt es eine Anlaufstelle im Zentrum von Wittlich.
Auf unserer Webseite haben Sie sich aber mit EPPES eingetragen. Das verstehen wahrscheinlich viele Menschen mit Dialektbezug in Rheinland-Pfalz. Können Sie uns „eppes“, also etwas dazu erzählen, wieso der Perspektiven e.V. nicht mehr so sehr im Vordergrund steht?
Schneider: Unsere Anlaufstelle in der Stadt ist ein 50m²-Raum mit Küche und Toilette mitten in der der historischen Altstadt in der Fußgängerzone. Wir wollen dort ein niedrigschwelliges inklusives Angebot für Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft, Gesundheit und Bildung machen. Dafür haben wir einen griffigeren Namen gesucht als etwa „Zentrum für intergenerative Begegnung und gesellschaftliche Perspektiven“. „Uns muss doch eppes einfallen!“, meinte einer von uns nach längerer Ideensuche und dabei ist es dann geblieben. EPPES war geboren – und hat sich sowohl bei der deutschsprachigen Bevölkerung als auch den Nichtmuttersprachlern superschnell eingeprägt.
Angebote für alle – von der Wittlicher Weltallee zur „Lustigen Lesung“, von Beratungsangeboten zu Lerntandems, vom Erzählcafé bis zum Puppenspiel
Mit welchen Angeboten sind Sie denn gestartet und wo stehen Sie heute?
Schneider: 2021 sind wir mit drei Medienprojekten zum Thema „Herkunft und Hiersein“ in zwei Schulen und unserem Haus der Jugend gestartet, die gefördert wurden. In einem Kunstprojekt gestalteten wir die „Wittlicher Weltallee“, die bis jetzt den Eingang in unsere Stadt ziert. Mit dem Ukrainekrieg kamen dann schnell viele neue Angebote hinzu wie etwa Integrationsberatung, Sprachtrainings, Lerntandems oder Aktionstage für geflüchtete Familien.
Heute bieten wir für alle Generationen Kunst- und Kreativangebote, Spieleabende, Gesprächsrunden, und Beratungen gegen Diskriminierung jeder Art. Natürlich gibt es immer wieder auch Angebote, von denen sich etwa bestimmte Altersgruppen mehr angesprochen fühlen. So kommen zum Puppenspiel oder den Ferienangeboten eher Kinder und der Erzählsalon wird überwiegend in etwa zu 80 Prozent von Seniorinnen und Senioren besucht. Beratungsangebote und Formularhilfe nutzen alle gerne. Auch unsere Lerntandems und individuellen Bewerbungstrainings stärken unsere Gäste.
Außerdem hat unser Team die Fortbildung zu Lesebotschafter*innen dazu animiert, ein ganz neues Format in Kooperation mit dem Eifelverein aufzulegen: die „KulTouren“. Dahinter verstecken sich geführte kleine Spaziergänge rund um Wittlich, vorbei an historischen Orten und ergänzt um kleine Lesungen. Auch unsere „Lustige Lesung“ mit Zungenbrechern und Musik macht jedem Alter und jeder Kultur Freude und wird gerne angenommen. Eine Lesebotschafterin liest im Nachbarschaftskontext und plant gerade als Clown – dazu ist sie ausgebildet – ein zugehendes Angebot für Menschen mit Behinderungen.
Niedrigschwelliger Zugang und Vernetzung aller untereinander – „Wir möchten Vielfalt leben“
Gerade neu hinzugekommen sind Angebote zur Förderung der Medienkompetenz und rund um die Anwendung von Künstlicher Intelligenz. Zudem soll unser Erzählsalon digital werden, um Menschen mit Einschränkungen, auch in den kleineren Orten, mehr Teilhabe zu ermöglichen. Sämtliche Angebote sind prinzipiell offen, an alle gerichtet. Wir möchten alle ansprechen und zusammen etwas unternehmen und aktiv einbinden, ganz nach dem Prinzip des Empowerments. Es geht uns um den niedrigschwelligen Zugang und die Vernetzung aller untereinander. Wir möchten Vielfalt leben.
… und auf der Vereinswebseite ist auch noch ein „PerspektMobil“ erwähnt. Was hat es damit auf sich?
Schneider: Das „PerspektMobil“ ist ein weiterer wichtiger Baustein unserer Arbeit. Damit gehen wir in Kooperation mit anderen Partnerinnen und Partnern in die Orte des Landkreises, um auch hier Menschen für Vielfalt, Toleranz und Demokratie zu begeistern. Denn gerade im ländlichen Raum mit fehlender Mobilität gibt es einen besonderen Bedarf. So waren wir mit einem Team ukrainischer, türkischer und deutscher Ehrenamtlicher auf einem Kindertag und bastelten dort über 100 Sockenpuppen. Oder unterstützen mit Aktionen zum Thema Kinderrechte eine vielbeachtete Aktion unseres Gospelchores zum Thema Depression. Zusammenarbeit im Netzwerk mit vielen ist uns ein besonderes Anliegen.
Finanzierung aus vielen Töpfen bis hin zum Solidarbeitrag
Ist der vorhin erwähnte Raum in der Innenstadt, den sie als Anlaufstelle und für die Angebote nutzen, selbst finanziert? Beziehungsweise woher beziehen Sie weitere finanzielle Mittel für die Arbeit?
Schneider: Zum Glück werden wir aktuell über den rheinlandpfälzischen Landesaktionsplan gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (MFFKI) für den niedrigschwelligen, Demokratie fördernden Ansatz gefördert, das heißt Miete und Nebenkosten der Räumlichkeiten in der Stadt sind aktuell gedeckt. Ebenso wie die Kosten für den Aufbau eines Netzwerkes gegen Diskriminierung. Weitere Fördermittel erarbeiten wir uns Einzelprojekt-bezogen, wie zum Beispiel mit dem „Bündnis für Bildung - Kultur macht stark“, von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt erhalten wir Mittel für die Ukraineangebote. Außerdem werden wir gefördert von der Stiftung der Stadt Wittlich oder Herzenssache und der Deutschen Postcode Lotterie. Zum Aufbau unserer Arbeit hoffen wir zudem auf eine verlässliche Kofinanzierung aus dem Bund, der Kommune und natürlich von Spenderinnen und Spendern. Um allen die Mitgliedschaft zu ermöglichen, erheben wir einen solidarischen Beitrag von einem Euro ab aufwärts.
Aufbau einer Bildungs- und Kulturgenossenschaft fest im Blick
Wie sind sie organisiert?
Schneider: Der Verein hat derzeit 29 Vollmitglieder und 40 aktive Ehrenamtliche, unser ältester Besucher ist sogar 92. Wir haben einen gesetzlichen Vorstand, der gemeinsam mit dem Plenum aller Aktiven vierteljährlich tagt, um diverse Aufgaben an verschiedene Arbeitsgruppen zu delegieren. Wir sind dem Paritätischen Landesverband angeschlossen. Unser Ziel, eine Bildungs- und Kulturgenossenschaft aufzubauen, haben wir dabei weiter fest im Blick.
Ich selbst arbeite derzeit 20 Stunden hauptamtlich, den Rest ehrenamtlich. Eine weitere Mitarbeiterin erledigt mit acht Stunden hauptamtlich die Projektekoordination. Ich bin zwei Tage die Woche ganztägig im Zentrum, in dem ansonsten aber auch meistens immer jemand anzutreffen ist, weil sich ein Projekt trifft. Über WhatsApp bin ich für alle Anfragen außerhalb der Zeiten immer erreichbar.
Aufbau einer funktionierenden Nachbarschaft, in der „auf die ein oder andere Weise aktiv Einsamkeit begegnet wird“
Da sie sich mit EPPES bei uns auf der Webseite präsentieren, ist vermutlich auch der Nachbarschaftsgedanke für die Tätigkeit von EPPES von Bedeutung?
Schneider: Ja, denn das ist es, was wir in der Wittlicher Innenstadt erreichen wollen. Die Nachbarschaft ist nämlich, wie in so vielen Zentren von Städten und Dörfern, nicht im besten Zustand. Es wurde sich nicht um den Wohnraum gekümmert. Hinzu kommen Geschäftsleerstände und ein hoher Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund, die sich hier aufgrund der niedrigeren Mieten aufhalten und wohnen. Wir wollen wieder ein Zusammengehörigkeitsgefühl im Zentrum entwickeln, eine funktionierende Nachbarschaft aufbauen. Dazu gehört auch, dass wir mehr alteingesessene Wittlicher gewinnen möchten, denn bei vielen Aktionen kommen oft mehr Menschen mit Migrationshintergrund. Erstere versuchen wir etwa gerade mit Angeboten verstärkt zu uns zu locken. Das kann ein interkulturelles Frühstück sein oder auch ein Café-Treff.
Ein schönes Beispiel dafür, wie diese Arbeit gelingt, ist eine unserer Seniorinnen. Zu Beginn hatte sie sehr viele Ängste zum Beispiel allein durch die Innenstadt zu gehen, da sie die relativ hohe Anzahl migrantischer Menschen sehr verunsicherte. Doch sie fasste sich ein Herz, besuchte uns und bietet heute wunderbare Kurse an, von denen viele sowohl profitieren als auch angestiftet werden. Sie genießt es heute ihre migrantischen Freundinnen und Freunde in der Stadt zu treffen.
Ein ebenso positives Beispiel ist auch unser junger Migrant aus der Nachbarschaft, der nach Abschluss seiner Ausbildung im Handwerksberuf jetzt im Nebengewerbe einen Hausmeisterdienst aufbaut. Selbstverständlich unterstützen ihn unsere aktiven Seniorinnen und Senioren beim Papierkram und sie freuen sich, wenn er mal schnell den Rasen mäht. Oder da gibt es unsere Seniorin, die über ein Frühstücksbrunch eine alleinerziehende Migrantin kennengelernt hat und sie nun bei der Betreuung ihres schwerbehinderten Sohnes begleitet – es gibt noch viele weitere berührende Beispiel, die zeigen, wie auf die ein oder andere Weise aktiv Einsamkeit begegnet wird.
Vernetzung auf allen Ebenen, Stärkung der Demokratie
Neben der Vernetzung der Menschen untereinander, wie wichtig ist die Vernetzung mit anderen Organisationen und der Kommune?
Schneider: Diese ist sehr wichtig, denn nur gemeinsam mit den Einrichtungen vor Ort, vom Jobcenter über Stadtbücherei, Jugendhilfeeinrichtungen, dem örtlichen Kunst- oder Wanderverein und vielen mehr, kann man mehr bewegen. Mit dem Bürgermeister von Wittlich stehen wir uns ebenso gut wie mit unserem Landrat oder auch den politisch Verantwortlichen vor Ort. So arbeiten wir mit dem Koordinator des rheinland-pfälzischen Modellprojektes Familiengrundschulzentren genauso zusammen wie mit der Koordinatorin des neuen Mehrgenerationenzentrums WILàvie. Es finden Kooperationen mit Schulen und Kitas, wie zum Beispiel vor Kurzem beim Netzwerkangebot „Kinder und Medien“ des Arbeitskreises Resilienzförderung, auf Kreisebene statt oder es kommt zur Zusammenarbeit bei einer gemeinsamen Schulung mit der Ehrenamtsförderung des Landkreises und dem Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz civi kune.
Ein besonderes Anliegen sind uns gerade im diesjährigen Kommunal- und Europawahljahr Kooperationen rund um das Thema Demokratie. So organisierten wir im Netzwerk mit „Solidarisches Wittlich“ eine Demonstration für Vielfalt und Toleranz und bereiten gerade Gesprächsabende zum Frauenwahlrecht, aber auch zu anderen politischen Querschnittsthemen vor. Im Mai wird es gemeinsam mit der Bundesinitiative „Politik zum Anfassen“ in Zusammenarbeit mit dem Haus der Jugend und den eben genannten Partner*innen am verkaufsoffenen Sonntag ein besonderes Angebot geben, um Erstwähler*innen, die gerade die Staatsbürgerschaft erhalten haben, EU- Bürger*innen und Jungwähler*innen für das Wählengehen zu begeistern
Arbeit, die motiviert und Mut macht – „Freundschaft ist wohl der größte Gewinn“
Seit Ihrem Engagement bei Eppes sind Sie ja mit vielen diversen Menschen zusammengetroffen. Was bei Ihrer Tätigkeit motiviert Sie am meisten und welche Herausforderungen wollen Sie noch meistern?
Schneider: Wenn sich Frauen verschiedener Kulturkreise, die sich zu Beginn mit vielen Vorbehalten begegneten, im Sprachtreff und bei gemeinsamen Unternehmungen lachend in den Armen liegen, dann motiviert uns das alle sehr. Freundschaft ist wohl der größte Gewinn. Auch unser jüngstes Mitglied, gerade mal 14 Jahre, der es sich aus eigener Initiative zur Aufgabe gemacht hat unsere Arbeit mit selbst produzierten Hör-Dateien barrierefreier zu machen, macht Mut für die Zukunft.
Denn einfach ist es nicht. Wir erleben direkte und versteckte Anfeindungen, denen es konstruktiv zu begegnen gilt. Und auch die Vielfalt unserer Nutzer und Nutzerinnen erfordert stetig Fortbildung für die Aktiven. Das kostet Geld und braucht verlässliche Förderung. Doch wenn ich nach etwas mehr als drei Jahren bürgerschaftlichem Engagement in Perspektiven oder Eppes schaue, dann bin ich zuversichtlich – zuversichtlich noch mehr Menschen für das Ehrenamt zu begeistern und noch mehr Menschen aus der Einsamkeit heraus für neue Freundschaften zu motivieren.
Vielen Dank für das Gespräch Frau Schneider.
Weitere Informationen finden Sie auf der Selbstdarstellung von „EPPES“ auf derWebseite der Landesinitiative sowie der Vereinswebseite.