„Wenn jeder nur einem Nachbarn hilft, braucht man keine organisierte Nachbarschaftshilfe mehr“, ist Jan Buchbender überzeugt. Doch die Situation ist eine andere. Als dem heute 53-Jährigen 2016 die Idee kam, sich nachbarschaftlich zu engagieren, dachte er sicher nicht daran, dass die auf seine Initiative hin im Juli 2017 gestartete Nachbarschaftshilfe bereits gut vier Jahre später mit dem Brückenpreis für ihr Bürgerschaftliches Engagement von Jung und Alt ausgezeichnet wird. Schnell hatte der Manager der Nachbarschaftshilfe Koblenz-Süd zehn Mitstreiterinnen und -streiter zusammen, die sich mit ihm freiwillig engagierten. Heute gibt es in Koblenz-Süd rund 25 Nachbarschaftspaare zwischen 37 und 94 Jahren, die sich regelmäßig treffen, unterstützen, Zeit miteinander verbringen und zum Teil auch befreundet sind. Im Interview mit dem Diplom-Ernährungswissenschaftler und langjährigen PR-Berater im Medizin- und Gesundheitsbereich erfahren Sie unter anderem, warum die Arbeit der Nachbarschaftshilfe so erfolgreich ist, wie sie aufgebaut ist und wurde sowie, welche Pläne man für die Zukunft hat.
Herr Buchbender, wir freuen uns mit Ihnen über die Auszeichnung der Nachbarschaftshilfe Koblenz Süd mit dem Brückenpreis Ende des vergangenen Jahres. Wie nutzen Sie das damit einhergehende Preisgeld?
Buchbender: Wir freuen uns sehr über diese gewichtige Auszeichnung aus den Händen von Malu Dreyer und sind Stolz, dass unsere langjährige Teamarbeit gewürdigt wird.
Die Ideen für die Verwendung des Preisgeldes gehen uns nicht aus. So muss etwa die Öffentlichkeitsarbeit zur Bekanntmachung der Nachbarschaftshilfe und Gewinnung neuer Ehrenamtler stetig und konsistent betrieben werden. Aus diesem Grund haben wir unseren Flyer 2021 nochmals angepasst, aktualisiert und mit einer Infoseite zum Brückenpreis 2021 versehen.
Zudem haben wir unser ausgefallenes Advents-Café mit einer Adventsaktion aufgefangen. Hierzu stellten wir neben dem Koblenzer Bilder-Kalender von unserem Netzwerkpartner „Ein Licht für Koblenz“ und Plätzchen von der Vollkornbäckerei Barth eine Seniorentasche von der Lokalen Allianz Demenz mit Materialien und Infos zum Thema Demenz zusammen. Dieses wurde von den Ehrenamtlern an ihre Nachbarn verteilt.
Sie sind ja noch eine recht junge Initiative. Wie kam es dazu und wie erklären Sie sich Ihren schnellen Erfolg?
Buchbender: Die Nachbarschaftshilfe ist aus meiner privaten Beobachtung und Eigeninitiative entstanden. Damals war ich Mitglied des Pfarrgemeinderats und für mich war dies gelebte Gemeindearbeit. Auslöser war, dass ich durch meine Zustellertätigkeit der Tageszeitungen vielfältigen Kontakt zu meinen Nachbarn habe und diese immer dankbar für kleine Hilfeleistungen waren und sind.
Ich habe von Anfang an Wert auf eine kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit und stetigen Ausbau des Netzwerks gelegt. Zudem ist es wichtig Mitstreiter zu gewinnen, da man diese vielfältigen Aufgaben nicht alleine stemmen kann. Personen von der Caritas und dem Pflegestützpunkt-Süd haben uns von Anfang an gecoacht. Eng verbunden sind wir mit unserer „großen Schwester“ „Karthause aktiv“, eine Nachbarschaftshilfe, die es schon über 30 Jahre in Koblenz gibt.
Volle Kraft für die Nachbarn: Trägerverein statt eigener Verein senkt bürokratischen Aufwand
Wie haben Sie sich organisatorisch aufgestellt?
Buchbender: Das Projekt zählt derzeit etwa 25 Ehrenamtliche, davon sind drei im Büroteam. Ingrid und Gisela aus dem Büroteam sowie Regina und ich als Initiator bilden das vierköpfige Leitungsteam. Hauptamtliche gibt es bei uns nicht.
Erst seit Juni 2021 sind wir im Trägerverein, dem Sozialdienst katholischer Frauen, SkF Koblenz e.V. verankert, dies hat u.a. Vorteile bei der Fortbildung und Versicherung, aber auch der Abwicklung von Spenden. Außerdem ergänzt sich das Portfolio gut und wir können unsere ganze Kraft und Engagement in die Alltagsunterstützung unserer Nachbarn stecken. Es war nie geplant einen eigenen Verein zu gründen, aufgrund des bürokratischen Mehraufwands.
Wie finanzieren Sie die Nachbarschaftshilfe?
Buchbender: Die Initiative wird überwiegend durch Spenden und einige wenige Fördermittel finanziert. Die zweckgebundenen Gelder werden eingesetzt etwa für Treffen und dem Austausch zwischen Ehrenamtlichen und Hilfesuchenden. Der sozialen Isolation von Nachbarn soll entgegengewirkt werden. Bürokosten oder der Öffentlichkeitsarbeit. Alle anderen Leistungen werden ehrenamtlich erbracht.
Wie sieht Ihre Arbeit vor Ort aus?
Buchbender: „Bürger aktiv für Bürger" sind freiwillig tätige Frauen und Männer, die das Projekt der Nachbarschaftshilfe unterstützen, es möglich machen und organisieren. Es handelt es sich dabei um eine Vermittlungsstelle für freiwillige Tätigkeiten und eine Anlaufstelle für Hilfesuchende.
Nach der Kontaktvermittlung – und wenn die Chemie zwischen Ehrenamtler und Nachbar stimmt –arbeitet das Nachbarschaftspaar soweit wie möglich autark. Es bespricht Kontakt, Hilfe- und Besuchstermine eigenständig ab. Veränderungen werden dem Büroteam mitgeteilt.
Die Nachbarschaftshilfe bietet unbürokratische Unterstützung im Alltag an mit dem Hauptfokus auf Mitbürgerinnen und Mitbürger wie z. B. Senioren, Alleinerziehende, Personen mit Handicap, Alleinstehende, aber auch Familien aus Koblenz-Süd. Sie deckt die Alltagslücke zwischen Familienbetreuung und professioneller Hilfe ab.
Vor allen Dingen aber: Wir sind für unsere Nachbarn da und schenken ihnen Zeit.
„Ein Gewinn für den Alltag“
…wofür konkret?
Buchbender: Etwa für die Einkaufsunterstützung von Lebensmitteln, Medikamenten und Haushaltswaren; wir besuchen und leisten Gesellschaft, sind Gesprächs-, Spiel- und Lesepartner. Wir begleiten bei Spazier- und Behördengängen oder zu Arztterminen und geben kleinere Hilfeleistungen wie z. B. das Ausfüllen von Formularen, Vorlesen und Handwerkstätigkeiten. Es gibt Aktionen wie das Advents-Café oder „Urlaub ohne Koffer“. Alle Angebote sind unentgeltlich, zuverlässig und konfessionsunabhängig.
Und wie wirkt sich dies auf die Nachbarschaft aus?
Buchbender: Wir steigern mit unserer Zeitspende für unsere Nachbarn die soziale Lebensqualität und sind laut zahlreicher Rückmeldungen „ein Gewinn für den Alltag“.
Das Gemeinwohl wird gestärkt, da die Nachbarschaftshilfe das soziale Miteinander im Stadtteil fördert und der Anonymisierung und Vereinsamung im Einzugsgebiet entgegenwirkt. Wir ermöglichen den Zugang und die Teilhabe von „schwächeren“ Mitgliedern der Gesellschaft an alltäglichen und persönlichen Aktivitäten durch das vielfältige ehrenamtliche Engagement unseres interdisziplinären Teams.
Ein Angebot, auf das Sie eben hingewiesen haben, heißt „Urlaub ohne Koffer“. Was hat es damit auf sich?
Buchbender: Dabei handelt es sich um Tagesaktionen. Für unsere Nachbarn heißt dies, einen schönen Tag in der Region zu verbringen, ohne die Koffer packen zu müssen und auch Ältere mit Rollatoren können einfach dabei sein. Es ist alles von einem Orga-Team geplant und beinhaltet Transport, Verkostung und das Tages-Programm für einen ereignisreichen Urlaubstag. Wir möchten „Urlaub ohne Koffer“ vermehrt und regelmäßig, mindestens zweimal im Jahr, anbieten.
Ein großes Netzwerk für alle Fälle
Sie arbeiten offensichtlich mit der benachbarten Nachbarschaftshilfe in der Karthause gut zusammen. Wie wichtig ist Netzwerkarbeit für Sie und wie ist die Initiative in Koblenz eingebunden?
Buchbender: Ja, wir haben etwa auch unsere zweite „Urlaub ohne Koffer“-Aktion – eine Schiffstour auf dem Rhein – gemeinsam mit „Karthause aktiv“ unternommen. Dies wurde von beiden Seiten gut angenommen.
Insgesamt sind wir gut vernetzt. Zu unserem Netzwerk gehören z. B. Caritas, AWO, SkF, Bürgerstiftung, Pflegestützpunkt Süd/Mitte, Ein Licht für Koblenz, Netzwerk Demenz, Kirchengemeinden und die Familienbildungsstätte. Mit ihnen tauschen wir uns stetig aus und führen gemeinsame Projekte durch.
Im AWO-Quartiersbüro haben wir etwa für zwei Tage jeweils zwei Stunden unser Büro. Wir können dort unsere Bürounterlagen lagern und haben dort auch außerhalb der Öffnungszeiten Zugang, dies ist sehr hilfreich.
Unser ehemaliger Netzwerkpartner SkF ist seit Juni 2021 sogar unser Trägerverein und wir sind ein Projekt im SkF-Koblenz e.V. geworden. Wir führen nun gemeinsame Treffen und Gespräche mit Vorstand und Geschäftsführung durch und können auf die Buchhaltung des SkF zurückgreifen. Unser Kassenbuch führen wir selbst.
Einen großen Teil ihrer Arbeit haben Sie nun bereits während der Coronapandemie durchführen müssen. Wie ist dies bisher gelaufen, hat es ihre Arbeit erschwert?
Buchbender: Es ist wichtig, eine zuverlässige und kontinuierliche Betreuung unserer Nachbarn auch in Krisenzeiten über Besuche, Hilfskontakte oder Telefon zu gewähren. Wir arbeiten gerade daran, wie wir nachbarschaftliche Alltagsaktivitäten noch besser unterstützen können und vor allem einen persönlichen Mehrwert bieten können. Dies kann in vielfältiger Form sein, wie z.B. eine Kartenaktion mit bekannten Stadtteilmotiven und persönlichen Worten versendet, Zugang zu Tagesaktionen wie „Urlaub ohne Koffer“ oder zur Seniorensicherheit und Anderes.
Organisatorische und persönliche Grenzen kennen und einfordern
Welches Feedback geben Ihnen die Ehrenamtlichen?
Buchbender: Es gibt eine demokratische Struktur, das heißt, dass der zeitliche und inhaltliche Rahmen des freiwilligen Engagements bei uns selbst bestimmt werden kann und persönliche Fähigkeiten für die Begleitung hilfesuchender Nachbarn eingebracht werden. Die Nachbarschaftshilfe mit ihrem Leitungsteam bietet dem Team Struktur und Organisation sowie darüber hinaus Fortbildungen, beispielsweise Supervision oder zum Umgang mit Demenz und psychischen Erkrankungen. In regelmäßigen Abständen, ca. sechs- bis achtmal jährlich, bieten wir die Möglichkeit zum Austausch im Team an. Hier können etwa Erfahrungswerte abgefragt und Grenzsituationen diskutiert werden. Vor allem ist es wichtig, die eigene Grenze und die der Nachbarschaftshilfe zu kennen und sie auch einzufordern.
So kommt es auch immer wieder durch private Herausforderungen oder durch Wegzug dazu, dass Personen ihr Engagement aussetzen oder beenden. Deshalb ist es wichtig, den Bedarf an neuen Engagierten stetig im Netzwerk zu streuen.
„Den Tag erhellen, die Mobilität erhöhen und für neue Ideen offen bleiben“
Was gehört zu den Highlights Ihrer Arbeit in der Initiative?
Buchbender: Mit wiederkehrenden Aktionen wie Blumenpräsente mit „Ein Licht für Koblenz“ oder durch selbst gebackene Kuchen zum Tag der Nachbarn erreichen wir immer unsere Nachbarn und konnten ihnen in diesen eingeschränkten Zeiten den Tag erhellen. Das sind Ereignisse, die sicher in Erinnerung bleiben.
In diesem Jahr soll uns der „Urlaub ohne Koffer“, der leider erst zweimal durchgeführt wurde, für die Nachbarn aber immer ein Highlight war, auf eine Straußenfarm mit Rundfahrt führen. Für die Ehrenamtler ist so ein Tag natürlich mit viel Engagement verbunden, aber wir möchten das öfter machen.
Welche Ziele haben Sie sich für die nähere und weitere Zukunft für die Initiative gesteckt?
Buchbender: Zusammen mit dem AWO-Quartiersbüro ist das Projekt „Rikscha für Senioren“ in Planung. Damit soll die Mobilität unserer Nachbarn stetig gesteigert werden. Ein erster Schritt dafür ist die Anschaffung des ersten elektrischen „Ca Go Lastenfahrrads“ in der Südlichen Vorstadt. Es soll von unseren Ehrenamtlern oder Mitgliedern unseres Netzwerks bewegt werden, um die soziale Mobilität in dem Viertel zu steigern.
Selbstverständlich bleibt es immer wichtig, die Öffentlichkeitsarbeit auf hohem Niveau zu halten und sich für neue Ideen zu öffnen. Denn auch wenn manches nicht direkt zur eigenen Initiative passt, kann sich aus Kontakten Neues ergeben.
Vielen Dank für das Gespräch Herr Buchbender.
Weitere Informationen finden Sie unter der Projektvorstellung auf der Webseite der Landesinitiative, auf der Webseite der Nachbarschaftshilfe Koblenz-Süd oder deren Facebook-Account.