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Auftaktveranstaltung zur Landesinitiative „Neue Nachbarschaften – engagiert zusammen leben in Rheinland-Pfalz!“ am 21. September 2015

im Café 7Grad der Kunsthalle Mainz

Veranstalter: BaS in Kooperation mit der Leitstelle „Gut älter werden“ des MSAGD

Moderation: Ramona Geßler, FH Münster, Fachbereich Sozialwesen

Fotos: Marlies Becker

Rund 50 Interessierte, Aktive und Multiplikatoren aus Nachbarschaftsprojekten trafen sich am 21. September in Mainz zur Auftaktveranstaltung der Landesinitiative „Neue Nachbarschaften – engagiert zusammen leben in Rheinland-Pfalz!“.

Bereits den Start im Veranstaltungscafé „7Grad“ der Kunsthalle Mainz nutzten die Teilnehmenden, um Erfahrungen auszutauschen und rege miteinander zu diskutieren. Ziel der Landesinitiative ist es, die Vernetzung von Nachbarschaftsprojekten zu unterstützen und die Gründung neuer Nachbarschaftsinitiativen zu fördern.

Viele Teilnehmende hatten Material und Fotos aus ihren Initiativen und Projekten mitgebracht, auf sechs Stellwänden wurden einige Beispiele aus der Praxis ausführlicher präsentiert.


Eröffnung und Begrüßung

Franz-Ludwig Blömker, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüros (BaS) würdigte das Engagement der vielen Aktiven, die in der Nachbarschaft tätig sind: „Insbesondere für ältere Menschen tragen kleine Hilfen im Alltag dazu bei, dass sie weiter selbstständig in der gewohnten Umgebung wohnen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können – und das ist der Wunsch der meisten Menschen.“

Blömker begrüßte die Initiative der rheinland-pfälzischen Landesregierung. Nachbarschaftsprojekte könnten dadurch landesweit Kontakte knüpfen und bei Bedarf fachliche Unterstützung erhalten. Die BaS freue sich, einen Vernetzungsprozess zu begleiten, den die Teilnehmenden von Anfang an mitgestalten könnten. „Das ist eine große Chance und beispielgebend auch für andere Bundesländer“, so Blömker.

Grußwort


Neue Nachbarschaften schaffen – Impulse aus dem Bundesmodellprogramm „Nachbarschaftshilfe und soziale Dienstleistungen“ und der BaS-Nachbarschaftswerkstatt

Stefanie Adler, Referentin der BaS, berichtete von den Erfahrungen des Bundesprogramms Nachbarschaftshilfe und soziale Dienstleistungen, das die BaS von 2011 bis 2014  fachlich begleitet hat. Mehr als 50 geförderte Projekte bundesweit zeigten, wie durch Initiativen in der Nachbarschaft neue soziale Netze geknüpft werden könnten. Im Zusammenwirken von Familie, Nachbarn, Engagierten und professionellen Dienstleistern wurden viele gute Beispiele geschaffen, wie die Betreuung und Versorgung im Wohnumfeld verbessert und selbstständiges Wohnen gefördert werden können.

Aus Rheinland-Pfalz waren vier Projekte beteiligt (Bendorf-Vallendar, Bingen, Germersheim, Külz). Adler stellte einige Beispiele aus dem „Werkzeugkasten“ des Programms vor, der erprobte Instrumente und Methoden zur Aktivierung nachbarschaftlicher Netzwerke wie Quartiersfotobuch, Hochbeete oder inklusives Zeitungsfrühstück enthält. Die Erfahrungen aus dem Programm werde die BaS auch für die Vernetzungsinitiative in Rheinland-Pfalz nutzen, sagte Adler.

Ihre Kollegin Agnes Boeßner zeigte anhand von Bildern, wie im Fortbildungsprogramm „Nachbarschaftswerkstatt“ gearbeitet wurde, das die BaS als Teil des Programms für 13 Seniorenbüros bundesweit durchgeführt  hat. Kreative Methoden und Impulse rund um das Thema Nachbarschaft regten die Teilnehmenden an, ihre Projekte für die Zukunft beteiligungsorientiert weiter zu entwickeln – unter anderem auch in den rheinland-pfälzischen Orten Bad Ems und Speyer.

Impulse und Dokumentation Modellprogramm "Nachbarschaftshilfe und soziale Dienstleistungen"

Impulse und Dokumentation "Nachbarschaftswerkstatt"

www.nachbarschaften.seniorenbueros.org

www.serviceportal-zuhause-im-alter.de


Nachbar „Willi Neumann“

Auf die Anregung von Moderatorin Ramona Geßler, sich im rheinland-pfälzischen Vernetzungsprozess aktiv einzubringen, meldete sich aus den Reihen des Publikums ein Mann namens „Willi Neumann“. Er sei vor kurzem nach Neuwied gezogen und  suche nach Kontakten in der Nachbarschaft. Seine Frau habe ihn beauftragt, ihr von der Veranstaltung zu berichten. Deshalb wolle er wissen, wer im Publikum sei.

Mit Fragen wie „Wer hat schon ein Projekt angefangen? Wer plant eine Initiative?“ bis hin zu Vorlieben für Kaffee oder Tee lernte er die Teilnehmenden – und damit auch die Teilnehmenden sich untereinander - kennen.


Nachbarschaftsprojekte aus Rheinland-Pfalz stellen sich vor: Interviews und „Speed-Dating“

Als Beispiel dafür, wie vielfältig lebendige Nachbarschaft gestaltet werden kann, stellten sich sechs Projekte und Initiativen aus Rheinland-Pfalz im Interview mit der Moderatorin vor. Im anschließenden „Speed-Dating“ konnten die Teilnehmenden die sechs Projektvertreterinnen und -vertreter an ihren Stellwänden besuchen und persönlich befragen.

Speyer / Nachbarschaftsverein

Der Nachbarschaftsverein der Gemeinnützigen Baugenossenschaft Speyer eG ist in einem Viertel aktiv, in dem viele alleinstehende Menschen aus 20 verschiedenen Nationen leben, viele sind an Demenz erkrankt.

Neben einem Einkaufsdienst und Hausmeister-Service gestaltet der Verein Aktivitäten, um die Gemeinschaft zwischen den Mieterinnen und Mietern zu fördern wie Fußballturnier, Erzählcafé, Tagesausflüge etc. Besonders gelungen nannte die Leiterin des kooperierenden Seniorenbüros, Ria Krampitz, eine internationale Kochgruppe, die sogar ein Kochbuch herausgegeben hat.

Ingelheim / Heinzelmännchen

Die Heinzelmännchen des Mehrgenerationenhauses (MGH) Ingelheim unterstützen und begleiten ältere und behinderte Menschen im Ort sowie Familien mit Kindern. 22 Ehrenamtliche begleiten Ältere zum Arzt und beim Spaziergang, helfen beim Einkaufen oder übernehmen für Familien in Notfällen die Kinderbetreuung.

Seit Kurzem kümmern sie sich auch um Flüchtlinge. Wer Unterstützung braucht, kann seine Anfrage auch online stellen. Bernhard Ader vom MGH erzählte von einem 94jährigen Mann, dessen größten Wunsch – einen Spaziergang am Rhein – die Heinzelmännchen erfüllen konnten. Es sei sein schönster Tag seit Langem gewesen.

Wöllstein / Zeitbank

Aus dem Beratungsprogramm Dorfmoderation des Landesministeriums für Inneres, Sport und Infrastruktur Rheinland-Pfalz ist die Wöllsteiner Zeitbank entstanden, berichtete Vorsitzende Eleonore Kämmerer.

Die als Verein organisierte Zeitbank verbindet Hilfen im Austausch für Jung und Alt. Nach dem Prinzip „Zeit geben und Zeit nehmen“ wird jede Stunde auf einem Konto verbucht, ob Einkauf, Grabpflege, Hilfe am PC, Kinderbetreuung, Hilfe rund ums Haus oder die Entlastung pflegender Angehöriger. Einmal pro Monat veranstaltet der Verein ein Kennenlern-Treffen für aktive Helferinnen und Helfer, Hilfesuchende und neue Interessierte.

Kaiserslautern / Tagesstätte für Demenzpatienten

Auf Initiative der ehemaligen Kulturministerin Dr. Rose Götte ist in Kaiserslautern ein Tagesangebot für demenzerkrankte Menschen entstanden. Die Demenzpatientinnen und -patienten erhalten Zuwendung und Anregungen, die pflegenden Angehörigen werden für einen Tag in der Woche wirksam entlastet. Eine examinierte Altenpflegerin betreut zusammen mit ehrenamtlichen, geschulten Helferinnen in einem Seniorenzentrum täglich eine Gruppe von maximal sieben Personen. Das Land hat die Tagespflege mit einer Anschubfinanzierung unterstützt.

Pirmasens / PS: patio! Gemeinsam planen, wohnen, leben

In Kooperation von Bauhilfe, Diakonie und Stadt Pirmasens ist ein gemeinschaftliches Wohnprojekt entstanden. Die 18 Mietparteien lernten sich bereits vor dem Einzug kennen und machen die Hausgemeinschaft durch viele Aktivitäten wie gemeinsames Kochen, Büchertausch oder Hilfe bei Krankheit tagtäglich lebendig.

Schon jetzt ist PS: patio! ein Mittelpunkt des Viertels, wie sich beim Sommerfest zeigte, als Jugendliche aus dem benachbarten Wohnheim begeistert bei „Alten Kinderspielen“ mitmachten. berichtete der hauptamtlich angestellte Quartiersmanager Hansheiner Ritzer.

Venningen / AG Zukunft im Dorf

Ebenfalls aus dem Prozess der Dorfmoderation entstanden ist die bürgerschaftliche Initiative AG Zukunft im Dorf in Venningen. Zusammen mit den vier Gastronomiebetrieben und zwei Vereinen im Ort organisiert die AG einen Mittagstisch, zu dem einmal pro Monat 40 bis 80 Gäste kommen. Seit rund einem Jahr gibt es außerdem eine Nachbarschaftshilfe von und für Jung und Alt.

Stephan Becker, der sich seit Beginn ehrenamtlich engagiert, hat weitere Ideen: Er will einen digitalen Flohmarkt auf Tauschbasis einrichten und ein rote Tramper-Bank, auf der Bewohnerinnen und Bewohner auf eine Mitfahrgelegenheit warten können.


Mittagspause und Austausch

Im Gespräch der Teilnehmenden untereinander kamen viele Fragen zur Sprache, zu denen bereits beim Mittagessen oder in den Pausen beim Markt der Möglichkeiten im Foyer Erfahrungen ausgetauscht wurden, z.B.:

  • Wie fängt man überhaupt an?
  • Wie finanzieren Sie sich?
  • Wie wird ein Mittagstisch organisiert?
  • Wie schützt man das Angebot vor Missbrauch?
  • Welche Versicherungen brauchen die Ehrenamtlichen?
  • Wie gelingt die Projektidee, wen braucht man als Unterstützer?
  • Wie beantragt man GEMA-Gebühren für Filme, die man öffentlich zeigen will?

„Karten auf den Tisch“: Kreatives Brainstorming zu Höhen, Tiefen und Visionen von lebendigen Nachbarschaften

Nach der Mittagspause diskutierten die Teilnehmenden in Arbeitsgruppen über Erfolge, Schwierigkeiten, Ziele und förderliche Faktoren ihrer Vorhaben und Projekte. Die Ergebnisse wurden auf Karten festgehalten.

Eine kleine Auswahl:

Was ist erfolgreich?

  • Zusammen feiern

  • Verbindlichkeit

  • An guten Beispielen von anderen lernen

Was ist schwierig?

  • An wichtige Akteure im Quartier (z.B. Hausärzte) heranzukommen

  • Hut der Verantwortung: „Ich bin die Spinne im Netz“

  • Motivation über einen längeren Zeitraum zu erhalten, auch über Planungsschwierigkeiten und Rückschläge hinweg

Was wollen wir erreichen?

  • Nicht nur Projekte anstoßen, sondern für Nachhaltigkeit sorgen

  • Menschen zusammenbringen

  • Vielfalt, denn was man nicht kennt, davon profitiert man am meisten

Was brauchen wir?

  • Geduld, denn es gibt keine schnellen Erfolge

  • Raum / Geld / Methoden

  • Austausch von Erfahrung / Kollegiale Beratung


Grußwort: Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler

Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler würdigte das Engagement der Anwesenden mit einem Grußwort, in dem sie sich beeindruckt zeigte von den vielfältigen Nachbarschafts-Aktivitäten im Land: „Nachbarschaften sind wichtige Netzwerke, die den Zusammenhalt der Gesellschaft fördern!“

Die Landesinitiative „Neue Nachbarschaften – engagiert zusammen leben in Rheinland-Pfalz!“ habe sie ins Leben gerufen, um die Arbeit bestehender Initiativen zu unterstützen, die Gründung neuer Projekte anzuregen und einen Schneeballeffekt auszulösen. „Die Wiederbelebung des Zusammenhalts ist eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben der Kommunen“, sagte sie und verwies auf den 7. Altenbericht, der in der Förderung von sorgenden Gemeinschaften eine wichtige Zukunftsperspektive sieht.

Grußwort


Ausblick: Wie geht es weiter?

Gabi Frank-Mantowski, Landesleitstelle „Gut leben im Alter“

Initiativen zu vernetzen, sei das Ziel der Landesinitiative „Neue Nachbarschaften - engagiert zusammen leben in Rheinland-Pfalz“, so Frank-Mantowski – und der Anfang sei heute gemacht. Künftig solle jedes Jahr eine zentrale Veranstaltung der Landesinitiative stattfinden, darüber hinaus seien weitere Angebote zur Vernetzung und Qualifizierung geplant.

Als Ziel sehe sie eine Landkarte guter Beispiele in Rheinland-Pfalz, eventuell auch eine Internet-Plattform, auf der sich Initiativen vernetzen können. Frank-Mantowski wies außerdem auf den Förderfonds des Landes hin, aus dem Nachbarschaftsinitiativen einen Zuschuss für ihre Aktivitäten erhalten können.

msagd.rlp.de

Stefanie Adler, Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüros (BaS)

Die BaS als fachliche Partnerin der Landesregierung wolle mit ihrer fachlichen Begleitung eine Plattform für den Austausch und die Vernetzung nachbarschaftlicher Initiativen schaffen, erklärte Stefanie Adler. Sie lud die Projektträger und Initiativen ein, diesen Prozess von Anfang an mitzugestalten und freue sich auf die Beteiligung möglichst vieler Akteure aus Rheinland-Pfalz.

Adler warb für die geplanten Werkstätten, in denen sich Initiativen und Projekte praxisnah zu Themen rund um Neue Nachbarschaften austauschen und neue Impulse erhalten könnten.

Die Werkstätten finden statt:

am 03./04.12.2015 in Bad Ems, Künstlerhaus Schloss Balmoral (zweitägig)

am 26.01.2016 in Ingelheim, Mehrgenerationenhaus (eintägig)

seniorenbueros.org


Schlusswort: Was vom Tage übrig bleibt

„Willi Neumann“ gab zum Besten, was er aus der Tagung mitgenommen habe und seiner Frau berichten werde. Wie in einer langjährigen Ehe dürfe man auch in der Nachbarschaft die Ziele nicht zu hoch hängen. Man müsse sich Ermunterung durch das Netzwerk holen, Mitstreiter suchen und ein „Mosaik der Herzensbrecher“ bilden. Die rote Bank habe ihm sehr gefallen und er überlege, eine solche „Tramperbank“ auch in Neuwied aufzustellen.

Der fiktive „Neuling aus Neuwied“ gab sich dann als Co-Moderator Georg Roth, langjähriger Kabarettist des Bonner „Springmaus“-Ensembles und Landeskoordinator für Schwule Seniorenarbeit in Nordrhein-Westfalen zu erkennen.


Aus den Rückmeldungen der Teilnehmenden

„Jetzt kennt man sich!“

„Man fühlt sich weniger allein.“

„Ich überlege, wie ich eine Initiative aufbauen kann. Diese Veranstaltung kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Ich wusste gar nicht, dass es schon so viel gibt und bin überrascht, wie viel ich mitnehmen kann.“

Liste der Teilnehmenden

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